Molekulare Gastronomie

Wissenschaftliche Kochkunst sehen, schmecken, riechen und fühlen

Genusserlebnis mit allen Sinnen.
Wissenschaft trifft Gastronomie. Bei der Kooperation von
Küche und Labor entstehen Innovationen für neugierige
Feinschmecker, die gerne mal über den eigenen kulinarischen
Tellerrand blicken. Was in diesem Zusammenhang gern als
„molekulare Gastronomie“ bezeichnet wird, ist kein Chemiebaukasten,
sondern das harmonische Zusammenspiel innovativer
und traditioneller Naturstoffe mit den richtigen Zubereitungsverfahren.
Ziel dieser neuen Kochkunst ist es, den Gast zu
überraschen und einzigartige Geschmackserlebnisse zu
schaffen. Bei der gestrigen Veranstaltung „Genusserlebnis mit
allen Sinnen“ zeigten bekannte Köche und Wissenschaftler des
ttz Bremerhaven während einer Kochperformance die Highlights
ihres Könnens.

In Zusammenarbeit mit dem
Restaurant TOPAZ und dem Hotel zur Post/Café Hauptmeier aus
Bremen hat ttz-Wissenschaftlerin Claudia Krines im Rahmen des
Projekts „Wissenschaftsmenü“ das Know-how der Köche mit dem
Know-why der Experten für Lebensmittel- und Verfahrenstechnik
zusammengebracht. „Diese Kooperation hat zum Ziel bislang
ungewöhnliche, interdisziplinäre Ansätze zwischen Handwerk und
industrienaher Forschung zu fördern und der Spitzengastronomie
durch Foodinnovationen langfristig ein wirtschaftliches Standbein zu
schaffen,“ erläutert Projektleiterin Krines. In der Vergangenheit
konnten viele Ideen von Köchen nicht umgesetzt werden: Grund
dafür sind technische Barrieren und schwer zugängliches oder
bislang gar nicht verfügbares Fachwissen im Kochalltag. „Es ist
spannend in so einem Projekt mitzuwirken. Neben der Entwicklung
von Neuheiten hat mich die Optimierung meiner Produktionsprozesse
stark interessiert. In der Zusammenarbeit haben wir zum Beispiel die
Herstellung von Pralinen vereinfacht.“, erklärt Peter Hauptmeier vom
gleichnamigen Café. Der Bremer Patissier möchte ebenso wie die
Projektpartner Holle und Tom Schmidt vom Restaurant TOPAZ seine
Kunden mit neuen Kreationen überraschen. „Neue Geschmackserlebnisse
können wir anbieten, wenn wir das Spiel zwischen Textur,
Geschmackseindrücken, traditionellen Rezepturen und ungewöhnlichen
Neuheiten beherrschen. Ein Beispiel hierfür sind hocharomatische
kirschtomatengroße Liquid-Drops in klarer Essenz, die bei uns
die normale Tomatencremesuppe ersetzen“, so Tom Schmidt.

Erst mit dem Projekt INICON auf EU-Ebene und jetzt auch auf
regionaler Ebene im Rahmen des Wissenschaftsmenüs hat die
Gastronomie einen Forschungspartner gefunden, der technisch das
umsetzt, was bisher nur Idee war.

Auf der Suche nach dem verlorenen Geschmack
Neben der Entwicklung neuer Rezepturen und Techniken wird
Geschmack beim wissenschaftlichen Kochen am ttz großgeschrieben.
Gleich in mehreren Projekten machen sich die Wissenschaftler
des Technologie-Transfer-Zentrums auf die Suche nach dem
verlorenen Geschmack: „Viele Lebensmittel schmecken aufgrund
industrieller Herstellungsweisen einheitlich, da sie standardisiert
gewürzt und aromatisiert werden. Während die Produktvielfalt in den
Supermärkten ein riesiges Ausmaß angenommen hat, ist die
geschmackliche Vielfalt auf der Strecke geblieben,“ bedauert Werner
Mlodzianowski, Geschäftsführer des ttz Bremerhaven und Initiator
der Zusammenarbeit von Gastronomen, Lebensmittel- und Verfahrenstechnikern.

Dass der ursprüngliche Geschmack für natürliche Lebensmittel aber
nicht gänzlich verloren gehen muss, weiß Kirsten Buchecker, Leiterin
des Sensoriklabors am ttz Bremerhaven: „Geschmack kann jederzeit
wieder neu erlernt werden. Konsumenten, die über lange Zeit Ihren
natürlichen Geschmack durch den Verzehr künstlicher Aromen
‚verloren’ haben, empfinden nach einer Phase der Ernährungsumstellung
auch wieder jene Lebensmittel als lecker und natürlich,
welche frei von übermäßigem Zucker und künstlichen Aromen sind.“
Wer nicht sicher ist, ob seine Geschmacksnerven auf „künstlich“ oder
„natürlich“ getrimmt sind, konnte gestern bei einer Joghurtverkostung
im Rahmen des „Genusserlebnis“ die Probe machen. Zusätzlich
wurden noch weitere Versuche rund um die Sinne angeboten.

Die Wahrheit des Weines
Bei diesen Geschmacks- und Geruchstests spielt auch Wein im
Rahmen des Projektes „Expersens“ am ttz eine wesentliche Rolle:
Neben sensorischen Tests, bei denen Supermarktweine mit
Winzerweinen von Fachleuten verkostet und verglichen werden, wird
den Inhaltsstoffen von Wein auch mittels wissenschaftlicher Analyse
auf den Grund gegangen. Dr. Hubert Lauterbach, Leiter der Analytik
am ttz Bremerhaven, hat sich auf die Suche nach den Geschmacksstoffen
im Wein gemacht. „Wir wollen den Zusammenhang zwischen
Qualität und Geschmack durch die Identifikation geschmacksrelevanter
Inhaltsstoffe wissenschaftlich dokumentieren. So möchten wir
langfristig eine Verfahrensweise entwickeln, mit der wir Qualität und
Geschmack objektiv beurteilen können. Auf dieser Grundlage soll
dann ein Qualitätssiegel für Weinfachhändler geschaffen werden.“

In
seinen komplexen Analysen untersucht Dr. Lauterbach auch ganz
pragmatische Fragestellungen der Gastronomiepartner: „Derzeit
analysieren wir wie viel Wein nach dem Kochen eigentlich noch in

der Soße bleibt.“ Im Rahmen des „Genusserlebnis mit allen Sinnen“
stand auch Dr. Lauterbach Frage und Antwort und gab wortwörtlich
„Kostproben“ seines Forschungsobjektes.

Das Projekt Wissenschaftsmenü läuft seit März 2005 und wird
regional von der Bremer Innovationsagentur GmbH mit einer
Fördersumme von rund 25.000 Euro unterstützt. Die Veranstaltung
„Genusserlebnis mit allen Sinnen“ war außerdem ein Beitrag zum
Jahr Stadt der Wissenschaft Bremen und Bremerhaven 2005.

Dem ttz Bremerhaven sind sechs Forschungsinstitute zugehörig, die
sich der Entwicklung moderner marktfähiger Produkte und Prozesse
verschrieben haben. Dies sind jeweils das Umweltinstitut; das
Bremerhavener Institut für Lebensmitteltechnologie und Bioverfahrenstechnik
(BILB); das Institut für Energie- und Verfahrenstechnik
(IEV); das Bremerhavener Institut für Gesundheitstechnologien
(BIGT); das Bremerhavener Institut für Biologische Informationssysteme
(BIBIS) sowie das Bremerhavener Institut für Organisation und
Software (BIOS).

www.ttz-bremerhaven.de
www.inicon.net

Sende
Benutzer-Bewertung
0 (0 Stimmen)

2 Antworten auf „Molekulare Gastronomie“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.