Messerunfälle sind keine Bagatellunfälle

In der Gastronomie sind die Unfälle mit Schnittverletzungen Spitzenreiter bei den jährlich an die BGN gemeldeten Unfällen: 2006 waren es rund 8.000 Unfälle. Die BGN hat Unfallfolgen und Unfallursachen von Schnittverletzungen mit handgeführten Messern untersucht und kommt u. a. zu dem Schluss: Mit durchschnittlich 7,4 Arbeitsunfähigkeitstagen sind Messerunfälle keineswegs Bagatellunfälle.

Meistens erfährt die BGN von den Unfällen per Durchgangsarztbericht (D-Arzt-Bericht), der in der Regel keine Angaben zu Unfallhergang, Unfallursachen oder anderen relevanten Randbedingungen enthält. Die vom Arzt eingeschätzte Arbeitsunfähigkeitsdauer ist häufig mit weniger als 3 Tagen angegeben. Deshalb sieht der Unternehmer oft keine Veranlassung, der BGN eine Unfallanzeige mit Angaben zum Unfallhergang zu schicken. Den Aufsichtspersonen der BGN-Prävention vermitteln Unternehmer häufig, dass Schnittverletzungen durch handgeführte Messer eher Bagatellunfälle seien, die unvermeidbar und auf Fehler des Verletzten zurückzuführen sind.
Diese Ausgangslage war für die BGN Anlass, die Ursachen dieser Unfälle genauer zu hinterfragen. Dabei sollten auch die Randbedingungen und Informationen über Unfallschwere und den am häufigsten betroffenen Personenkreis herausgefunden werden. Im Sinne einer zielgerichteten Präventionsarbeit führte die BGN eine Studie durch und definierte folgende Ziele:

Verbesserung der Auswertbarkeit des Unfallgeschehens
systematischer Erkenntnisgewinn zu relevanten Risikoschwerpunkten
Ergänzung oder gegebenenfalls Änderung der bisherigen betrieblichen Präventionsmaßnahmen

Methodisches Vorgehen
Es wurde ein Fragebogen entwickelt. Für die Zufallsstichprobe wurden alle bundesweit an 5 festgelegten Wochentagen und Monaten eingehenden Unfälle mit Schnittverletzungen durch handgeführte Messer herangezogen. Die Erhebung erfolgte zum einen nach Aktenlage (D-Arzt-Bericht und Unfallbericht). Zum anderen führten geschulte Aufsichtspersonen und Beratungsassistenten der BGN persönliche Befragungen der Verletzten durch. Die Befragungen sollten möglichst zeitnah nach dem Unfallereignis erfolgen.
Die Studie wurde bundesweit von den 6 Regionalbüros des Technischen Aufsichtsdienstes der BGN im Zeitraum Juli 2008 bis Januar 2009 durchgeführt. Programmierung und Auswertung nahm die Gesellschaft für sozialmedizinische Forschung Suhl e.V. vor. Insgesamt konnten 232 Unfalluntersuchungsbögen ausgewertet werden. Diese Anzahl ist zwar nicht ausreichend, um alle Merkmale in den erforderlichen Merkmalskombinationen repräsentativ auswerten zu können, sie zeigt aber insgesamt Tendenzen, die für die weitere Vorgehensweise hinreichende Informationen liefern.
In der Stichprobe waren Personen im Alter unter 30 Jahren häufiger vertreten als ältere Personen. Anteilig waren 70% der erfassten Verunfallten Männer und 30% Frauen.

Am häufigsten werden beim Schnittunfall Daumen und Zeigefinger verletzt.

70% der Messerunfälle ereignen sich in den ersten 10 Minuten ab Beginn der Schneidetätigkeit.

Unfall-Zeitpunkte
Donnerstag, Freitag und Samstag sind die Tage mit den meisten Unfällen. Somit deckt sich das Unfallaufkommen mit dem in der Gastronomie üblichen stärksten Arbeitsaufkommen. Die Verteilung der Unfallzeitpunkte über die Tagesstunden zeigt geschlechtsbezogene Unterschiede auf. Die Messerunfälle der Frauen ereignen sich früher am Tag als die der Männer. Der Grund hierfür könnte sein, dass häufiger Frauen Speisen vorbereitende Arbeiten durchführen als Männer. Die Arbeitszeit der Frauen beginnt – dem Arbeitsablauf folgend – möglicherweise früher.
Die Annahme, mit zunehmender Arbeitszeit nehme die Häufigkeit der Messerunfälle aufgrund von Ermüdungserscheinungen zu, konnte durch die Studie nicht bestätigt werden. Die größte Unfallhäufigkeit bezogen auf den Tagesarbeitsbeginn tritt zwischen der 2. und 3. Stunde auf. Auch hier steht der Zeitpunkt des Umgangs mit Messern im Zusammenhang mit den in der Gastronomie üblichen zeitlichen Arbeitsabläufen. Bezogen auf die Schneidetätigkeit ereignen sich etwa 70% der Unfälle mit handgeführten Messern innerhalb der ersten 10 Minuten ab Beginn dieser Tätigkeit.

Unfallschwere
Zur Bewertung der Unfallschwere wurde die Dauer der Arbeitsunfähigkeit (AU) herangezogen. 3 von 4 durch Ärzte behandelte Unfälle sind mit einer au von durchschnittlich 10,2 Tagen verbunden. Frauen haben mit 71% einen geringeren Anteil an Unfällen mit AU, aber mit 11,3 AU-Tagen eine längere Ausfallzeit als Männer mit 9,8 AU-Tagen. Im Mittel wiesen alle in der Studie erfassten Unfälle eine AU-Dauer von 7,4 Tagen auf.
Bezogen auf eine Fachausbildung der Unfallpersonen zeigt sich: Bei gelerntem Küchenpersonal sind 80% der Messerunfälle mit AU verbunden, bei angelernten Hilfskräften 75%. Die mittlere AU-Dauer beträgt beim Fachpersonal etwa einen Tag mehr als bei den angelernten Hilfskräften.

Unfallursachen
Um eine Aussage zu den konkreten Unfallursachen zu erhalten, wurden u.a. die frei formulierten Angaben zum Unfallgeschehen aus den Gesprächen mit der Unfallperson ausgewertet. Anschließend gruppierten Experten diese Angaben nach Kategorien und ordneten die Gruppierungsmerkmale nach dem »T-O-P-Prinzip« (technisch, organisatorisch, personenbezogen):

Technische Faktoren: Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitsmittel, Schneidguteigenschaften bzw. unzureichendes Halten des Schneidgutes, Führen des Messers bzw. der Messerschneide
Organisatorische Faktoren: mangelnde Kenntnis bzw. fehlende Unterweisung, Ablenkung, Stress-Zeitdruck – Hektik – Arbeitsaufkommen (unzureichende Ablaufplangestaltung), fehlende persönliche Schutzausrüstung
Personenbezogene Faktoren: Unachtsamkeit, mangelnde Konzentration, Müdigkeit
Bei den Männern haben die personellen Faktoren den größten Anteil am Unfallgeschehen, gefolgt von den organisatorischen und technischen Faktoren. Anders bei den Frauen: Hier nehmen die technischen Faktoren der Unfallverursachung einen deutlich höheren Anteil ein und stellen die größte Risikogruppe dar.

Die Untergliederung der T-O-P-Gruppen nach einzelnen Ursachengruppen ergibt weitere konkrete Aussagen: Häufigste Ursachengruppe ist »Unachtsamkeit … Müdigkeit«. 35% aller Unfälle von Männern und 30% von Frauen gehen auf diese Ursache zurück. Erwähnenswert ist der relativ hohe Anteil (17%) der Unfälle bei Frauen, die auf die Verwendung ungeeigneter Messer zurückzuführen sind. Als nächsthäufige Ursachengruppen treten »mangelnde Kenntnis, fehlende Unterweisung« (13% bzw. 11%) sowie »unzureichend gehaltenes Schneidgut« (5% bzw. 11%) auf. Auch »Stress, Zeitdruck, Arbeitsaufkommen« ist als bedeutsame Ursachengruppe mit jeweils 7% bei Männern und Frauen zu erkennen.

Zusammenfassung
Unfälle in der Gastronomie mit handgeführten Messern sind keine Bagatellunfälle. Die Studie zeigte, dass die Dauer der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit mit durchschnittlich 7,4 Tagen je ärztlich behandlungsbedürftigem Unfall höher liegt, als aufgrund der ärztlichen Mitteilungen zu erwarten war. Diese Tatsache lässt die wirtschaftliche Bedeutung derartiger Unfälle erkennen.
Die Erkenntnisse aus der Studie bestätigen einerseits die bisherigen, auf Erfahrung langjähriger berufsgenossenschaftlicher Präventionsarbeit basierenden Maßnahmen zur Vermeidung von Schnittverletzungen. Andererseits lieferte die Studie weitere detaillierte Erkenntnisse, die konkreteren Handlungsbedarf bei folgenden Punkten aufzeigen:
geeignete Arbeitsmittel bereitstellen und benutzen
ergonomische Arbeitsplatzgestaltung berücksichtigen
Arbeitsablaufpläne optimieren
Mitarbeiter im professionellen Umgang mit Messern ausbilden
Bewusstsein für den sicheren Umgang mit handgeführten Messern fördern

Sende
Benutzer-Bewertung
5 (1 Stimme)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.