Der Tourismus hat das Käseparadies Allgäu entdeckt

Wer einen „Bruch macht“, muss nicht zwangsläufig kriminell sein – zumindest nicht in der „Käseschule“ in Thalkirchdorf im Allgäu. „Der Bruch ist ein Teil der Käseherstellung“, erklärt Senner Klaus Wagner. Seit vier Jahren können Interessierte bei dem Molkereifachmann die Käseherstellung lernen und am Ende eines unterhaltsamen Abends ihren eigenen Käse mit nach Hause nehmen. An diesem Abend sitzen zehn Gäste und Urlauber an seiner Schulbank, einem langen Holztisch im Keller des Dorfladens, auf dem vor jedem Feriengast ein kleiner Kupferkessel hängt.

Der bekannte Allgäuer Käse ist aus einer Not heraus entstanden: Die industrielle Revolution und die Erfindung des mechanischen Webstuhles zu Beginn des 19. Jahrhunderts trieben die Menschen in der heutigen Ferien- und Tourismusregion in die Armut, denn durch die Konkurrenz der billigen Baumwolle war die Leinenweberei nicht mehr wettbewerbsfähig. „Die Verzweiflung war so groß, dass viele Familien ihre letzten Ersparnisse für eine Schifffahrt in die Neue Welt opferten“, sagt Michael Kamp, Museumsleiter des Allgäuer Bergbauern Museums in Immenstadt-Diepolz.

Besucher des im Juli vergangenen Jahres eröffneten Museums machen beim Gang durch das Gebäude eine Reise durch die Zeit. Der historische Alltag der Bergbauern wird mit zahlreichen Gegenständen, ausführlichen Informationstafeln und einer originalen Alphütte mit historischer Ausstattung anschaulich dargestellt. Ein großer Teil der Ausstellung ist dem Käse gewidmet.

Den Grundstein für das wirtschaftliche Überleben der verarmten Allgäuer Bauern legte Carl Hirnbein (1807-1872). Der Allgäuer brachte die Weichkäserei und damit den wirtschaftlichen Aufschwung in die bis dahin von Viehzucht und Flachsanbau geprägte Region. Schon bald handelte der „Notwender“ in ganz Deutschland erfolgreich mit Limburger und Romadur aus dem Allgäu. In fast jeder Ortschaft gründeten die Bauern Sennerei- oder Käsereigenossenschaften, in denen die Milch gemeinsam verarbeitet und vermarktet wurde.

Auf dem Carl-Hirnbeinweg, der von Weitnau nach Missen führt, können Interessierte auf den Spuren des „Alpkönigs“ wandern. An dem rund sechs Kilometer langen Weg durch einen Wald und über eine Wiese informieren 68 Tafeln über die Region, ihre Geschichte und die Arbeit der Allgäuer Bergbauern.

Heute gibt es im Allgäu noch 675 Alpen mit mehr als 30 000 Rindern, die die Milch für den Käse liefern. Auf rund 40 Alpen stellen die Landwirte auch Käse her. „Der Tag beginnt um 4.15 Uhr“, sagt Klaus Beck, Senner auf der Alpe Oberberg in rund 1350 Meter Höhe auf dem Mittag nahe Gunzesried. Rund 600 Liter Milch geben die Kühe des 48 -Jährigen jeden Tag: Rohstoff für neuen Berg-, Hart- und Rohmilchkäse aus dem Allgäu.

Wie die anderen Alpsenner hat sich auch Beck auf die vielen Wanderer eingestellt, die bei dem Bergbauern eine Pause einlegen. Bei einer deftigen Käsebrotzeit mit Schinken, Brot und einem kühlen Getränk können die Gäste neue Kraft tanken. Auch 16 Betten für eine Übernachtung stehen zur Verfügung. Manchmal dürfen die Besucher dem ruhigen Senner auch bei der Herstellung seines Käses zuschauen oder einen Blick in den Käsekeller werfen.

Dort lagern mehrere Dutzend Laiber des original Allgäuer Bergkäses, ohne den die wenigsten ihre Tour fortsetzen. „Unser Käse ist ein beliebtes Souvenir“, sagt Beck. Um die Werbung muss sich Wagner nicht kümmern. Das machen schon die großen Käse-Hersteller kostenlos für ihn, wenn sie im Fernsehen den Weichkäse aus dem Allgäu schmackhaft machen. Wenn auf der Verpackung Allgäu steht, verkauft der sich gleich besser. Die Geschichte vom Allgäuer Käse können die Allgäu-Urlauber dann nach der Heimreise weitererzählen, am besten dann, wenn sie ihren selbstgemachten Käse aus der „Käseschule“ zu Hause genießen.

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