Die Karwoche in Spanien

Passionsspiele und Trommelwirbel

Semana Santa – Karwoche – in Spanien. Sie wird so vielseitig in den unterschiedlichen Regionen begangen, wie das Land selbst sich darstellt, vom sonnigen Süden Andalusiens über die mittelalterlichen Städte Aragoniens und Kastiliens bis in den Norden, wo grüne Wälder, Hügelketten und die Winde und Wellen des Atlantiks und des Kantabrischen Meeres Wesen und Leben der Menschen prägen.

Während in den Städten des Südens, in Sevilla, Granada, Málaga oder Córdoba der klagevolle Laut der flamenco-ähnlichen Saeta erklingt und zahlreiche Prozessionen der in ihre langen Gewänder und Kapuzen verhüllten Nazarener und schwarzgekleidete Frauen mit der Mantilla die Szene bestimmen, während Kastilien und Aragonien für eine Woche im Trommelrausch versinken, bereitet sich im Norden, im baskischen Balmaseda ein ganzer Ort auf die Darstellung der Passion Christi vor.

Am Gründonnerstag und Karfreitag strömen Tausende nach Balmaseda, um das Spiel der Laienschauspieler vom letzten Abendmahl bis zur Verurteilung Jesus durch Pilatus, die einsame Verzweiflung des schließlich den Freitod suchenden Judas, die Kreuzigung und das Sterben von Christus und schließlich sein Begräbnis zwischen den Fassaden der alten Herrenhäuser, Kirchen und mittelalterlichen Brücken dieser 800 Jahre alten Stadt mitzuerleben.

Balmaseda erhielt im Jahr 1199 die Feudalrechte durch Lope Sánchez de Mena und wurde, bedingt durch seine günstige Lage auf dem Weg von Santander nach Vitoria und Burgos zum wichtigen Handelsplatz. Das Wahrzeichen des kleinen Städtchens ist bis heute die romantische mittelalterliche Brücke mit ihrem charakteristischen Turm über dem Fluss Cadagua. Das alljährliche Passionsspiel, das durch die tiefreligiöse Ernsthaftigkeit und Leidenschaft der Spieler mitreißt und beeindruckt, hat seine Anfänge im 19. Jh. Die Tradition des Passionsspiels aber geht wohl zurück bis ins 15. Jh. Etwas Gespenstisches liegt über der Szenerie in der Dunkelheit: Auf dem „Ölberg“, einem freien Platz am Rande des Ortes, scheint das nahende Unheil greifbar. Die Sonne erhellt den Platz vor dem historischen Rathaus, wo „römische Soldaten“ ihre Lanzen aufgepflanzt haben, die die wütende Menge zurückhalten sollen, während über Jesus Gericht gehalten wird. Das Schauspiel wird begleitet von drei Prozessionen, in deren Verlauf prächtige „Pasos“ – Heiligendarstellungen – auf den Schultern zahlreicher Männer durch die Stadt getragen werden. Am beeindruckendsten ist die sogenannte „Prozession der Stille“ in der Nacht von Karfreitag auf Karsamstag, zu dem Platz der Begräbnisstätte.

Trommeln zerschlagen die Stunden
Ganz anders sieht es in Aragonien einige Kilometer weiter aus. Während in Balmaseda absolutes Schweigen herrscht, ertönen die Trommeln in den Städten und Dörfern dieser Autonomieregion in einem beispiellosen Crescendo. Ob in der Hauptstadt Zaragoza, wo die Karwoche zum Fest von nationalem Interesse erklärt wurde oder in Calanda, dem Geburtsort von Regisseur Luis Bunuel. In Zaragoza sind mehr als 50 Prozessionen, die die 23 Bruderschaften der Stadt veranstalten, vom dumpfen, stundenlangen Trommeln begleitet. Schon Wochen vor Ostern hört man die Trommeln in den Gassen der Altstadt widerhallen, wenn die Mitglieder der Bruderschaften für das jährliche Ereignis proben.

Dieses Ereignis heißt in Calanda „Romper la hora“ – „Die Stunde zerschlagen“. Gleichzeitig mit dem ersten Schlag der Uhr der Torre del Pilar und mit dem ersten Glockenklang der Kirche um 12:00 Uhr mittags am Karfreitag, ertönt ein unbeschreiblicher Trommelwirbel, der unter die Haut geht und der in den nächsten Stunden anhalten soll und den Ort in einen Taumel verfallen lässt. Nach zwei Stunden ununterbrochenen Trommelns setzt sich vom Hauptplatz aus eine Prozession mit dem Namen „El Pregón“, der Ausrufer, durch Calanda in Bewegung. Weit mehr als Tausend Gläubige, verkleidet als römische Soldaten, die nach dem Klang der Trommeln „Puntuntunes“ genannt werden, Zenturien, ein römischer General, eine Person in einer Rüstung mit Namen Longinos und Hunderte von Trommlern in violetten Büßerhemden, Kinder und Erwachsene formen diese Prozession, die bis in den späten Nachmittag andauert. Aber mit der Prozession enden nicht die Trommeln. Sie erschallen 26 Stunden lang, ohne Unterbrechung, die ganze Nacht hindurch, bis um 14:00 Uhr der erste Glockenschlag sie wieder für ein Jahr verstummen lässt. Luis Bunuel beschreibt in seinen Erinnerungen „Der letzte Seufzer“ eindrucksvoll diesen Trommelwirbel, „der den Boden unter unseren Füßen erzittern lässt“.
Weitere interessante und noch relativ unbekannte Beispiele der spanischen Karwoche:
EXTREMADURA:
Passionsspiele in Oliva de la Frontera (Provinz Badajoz)
In dem kleinen Ort in der Provinz Badajoz in der Extremadura, dem äußersten Westen Spaniens stellen rund 300 Laienschauspieler seit mehr als 20 Jahren alljährlich die Passion Christi dar.

Die Gepfählten von Valverde de la Vera (Provinz Cáceres)
In Valverde in der extremenischen Provinz Cáceres tun vermummte Einwohner Buße. Sie lassen sich die Arme mit schweren Tauen ans Joch binden und laufen barfuß in der Nacht des Karfreitag durch die Straßen ihres Ortes.

KASTILIEN LA MANCHA
Prozession de las Turbas in Cuenca
In der Morgendämmerung des Karfreitag startet in Cuenca eine der seltsamsten Prozessionen Spaniens, die Prozession de las Turbas – der Aufgebrachten. Eine Prozession der Emotionen, in deren Verlauf Jesus beweint und beschimpft wird, so wie es auf dem wirklichen Weg zur Kreuzigung wohl geschehen sein mag.

Die Tamborada von Hellin (Provinz Albacete)
In Hellín richten mehr als 20 Bruderschaften die Prozessionen der Karwoche aus. Berühmt aber ist die Semana Santa in dem Ort, durch den mehr als 20.000 Trommler in ihren schwarzen Tuniken mit roten Tüchern am Gründonnerstag zusammenkommen und unaufhörlich die ganze Nacht hindurch bis zum Mittag des Karfreitag ihren Trommelwirbel hören lassen. Am Mittwoch davor sind die Mehrzahl der Trommler Kinder.

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