„Schön, dass Sie wieder hier sind“, „Schön, dass wir Sie hier wieder begrüßen dürfen“. So und so ähnlich wurden wir im Restaurant Tim Raue freundlich begrüßt. Natürlich provozierte mich dies, einmal darüber nachzudenken wann wir zuletzt hier waren. Es stimmt, wir waren schon häufig hier zu Gast, das letzte Ma(h)l allerdings lag schon sechs Jahre zurück.

Bernhard Steinmann im Restaurant Tim Raue
Wieso hat es so lange gedauert bis wir wieder den Weg nach Kreuzberg fanden? Die Antwort auf die Frage würde wahrscheinlich nach Ausflüchten und Ausreden klingen. Drum lasse ich dies lieber aus, nun sind wir ja da.
Tim Raue, Marie-Anne Wild und das Restaurant muss man nicht mehr vorstellen. Lange wurde es unter den 50 besten Restaurants weltweit geführt und Tim Raue kann man ohnehin kaum entkommen, wenn man den Fernseher einschaltet. „Tim Raue isst!“, „Herr Raue reist“ „Kitchen Impossible“, „The Taste“, Der Restaurantretter“ u.s.w. mal als Koch mal als Juror, Tim Raue überall nur leider an diesem Abend nicht im Restaurant. Irgendwie mehr als verständlich.
Das Restaurant Tim Raue in Berlin ist in gewisser Weise autoreferentiell, da es stark auf seine eigene, durch den Koch definierte Philosophie der „asiatisch inspirierten Gourmetkunst“ verweist, seine Geschichte (Kreuzberg), seinen Werdegang, die kulinarische Unabhängigkeit von Trends.
Wir entschieden uns für das Menü KOI.
Die Grüße aus der Küche waren wie immer hervorragend. Aromatisch und texturell immer weit mehr als nur kleine, mundgerechte Appetithäppchen.

- Karamellisierte Walnuss mit Walnusscreme
- Gurkensalat mit fermentierter Sambal-Chilisauce
- Gepickelte Gelbe Bete mit Knoblauchmayonnaise
- Rotkohlmarschmallow mit Apfel, Limette und Jalapeño
- Huhn mit Chili und fermentierten schwarzen Bohnen
- Meeressud süss sauer
- Topinamburchips mit Topinamburcreme

Kokosnuss – grünes Curry, Kopfsalat
Grüner Currysud mit Ingwer und Kombucha, Schaummousse und geeiste Perlen von Kokosnuss. Baiser von Kokosnusspulver und geröstetem Reis und Salz, rote Chili, Kürbispüree, rotes Zwiebelpüree, Apfel, Öl von Kaffirlimette und Koriander

Seehecht – Dashi, Schmorgurke
Seehecht gedämpft und gebraten, Dashi Beurre Blanc, Schmorgurke mit Senfsaatsud und grüner Spitzpaprika, Selleriepüree, Estragon, Anisgrün
In diesem Menü eindeutig mein Favorit.

Spitzkohl – Ingwer, Jakobsmuschel
in Knoblauch sautierter Spitzkohl, gekochter Ingwer, marinierte Wasserkastanie, Sud von oxidiertem Riesling, Rahmsauce von Jakobsmuschelcorail, Quenelle von Jakobsmuschel mit Rindermark, Zitronenzeste, Nadelkoriander, Peperoniöl, Wurzelgemüsepüree
Wieder einmal war der Aufwand gewaltig bis man endlich das gewünschte Geschmackserlebnis getroffen hatte. Die Fähigkeit der Küchencrew viele kreative, teils unkonventionelle und neue Ideen zu entwickeln sind beachtlich.
Corail ist übrigens der orangefarbige Rogensack im Muschelinneren. Er wird gerne gemeinsam mit dem Muschelfleisch zubereitet oder auch zu einem Muschelfond oder einer Fischsauce verarbeitet.

Krustentiersud – Kapstachelbeere, Tomate
gebutterter Sud von Krustentieren, Orangenöl, Koriander und Korianderöl, gehackte reife Tomaten, Kapstachelbeere, Kalamansigel, gegrillte Mazara Garnele

KFC – Kreuzberg Fried Chicken
DieStubenkükenkeulen wurden mariniert und am Knochen gegart, frittiert und in Sirup aus Geflügelfond, Knoblauch, Chili und Rohrzucker glasiert. Dazu kamen Pak Choi mit Fingerlimes, Zitronengras und marinierte Schalotten, Gel von Dashi und Holunderblüte, Ingwer-Frühlingslauchpüree
Großartig. Nicht nur das legendäre Kürzel.

Reh – Sichuan, Kronsbeere
Das Reh ist Teil der Hirsch-Familie, ebenso wie das bekannte Rot- oder Damwild, unterscheidet sich aber stark von diesen. Der nächste Verwandte ist recht prominent, es ist der Elch. Übrigens, das europäische Reh gibt es in den USA nicht. Was uns unweigerlich zu dem uns wohl allen bekannten Bambi führt. Wenn ich alles richtig verstanden habe, war dies nämlich ein Weißwedelhirsch. Irgendwie sehen sich diese sehr ähnlich. Doch genug davon.
Es scheinen jedenfalls sehr viele Rehe in Deutschland heimisch zu sein, denn seit einiger Zeit tauchen sie jedesmal auf sobald ich eine Speisekarte in die Hand nehme.
Vor uns liegt ein bleu gebratenes Rehfilet mit Jus und Knuspergebäck. Öl mit grünem und rotem Sichuanpfeffer, Gelee, marinierte Kronsbeeren, Püree und sautierter Wirsing, Bergamottengelee sowie eine Entenleberrahmsauce fanden ebenfalls Verwendung.
Eine überaus gelungene Kreation.

Yuzu Cheesecake – Karamell, Melange noir Pfeffer
Valrhona Dulcey Schokolade gefüllt mit Cheesecakemousse, Butterkaramellsauce mit Melange noir Pfeffer, Rauchsalz, Yuzu und Zitrussud, Marmelade und Gel mit Fingerlimes, Yuzusorbet
FAZIT
Das Restaurant Tim Raue hat, meiner Meinung nach, einen Stern zu wenig. Andere Restaurantführer sind da weiter, beispielsweise der Große Guide mit fünf Hauben.
Doch eine noch bessere und eindeutigere Auszeichnung scheint mir die Tatsache zu sein, dass an einem Dienstag das Restaurant sehr gut besucht ist. Zudem agiert eine freundliche und fachkundige Servicecrew in ausreichender Zahl, sodass der Service ohne lästige Pausen überall zur Stelle ist.
Wer in Menüs eine Spannungskurve sucht, sucht hier vergebens. Das Niveau schnellt nach oben und geht linear bis zum Ende. Eine sichere Bank.
Den großen Erfolg des Restaurants könnte man sicherlich in der medialen Präsenz Tim Raues verorten, doch die Küchenleistung spricht für sich.
Web Restaurant Tim Raue
Bernhard Steinmann im Restaurant Tim Raue
Zusammenfassung
Das Restaurant Tim Raue hat, meiner Meinung nach, einen Stern zu wenig. Andere Restaurantführer sind da weiter, beispielsweise der Große Guide mit fünf Hauben.

