Kreative, unabhängige Köche in Berlins Gastroszene

Neuentdeckungen in Deutschlands Gourmethauptstadt

Auf den ersten Blick gibt es kaum Veränderungen in der Berliner Spitzengastronomie. Mit 13 Michelin-Sternen in 12 Restaurants ist Berlin nach wie vor die Gourmethauptstadt Deutschlands, knapp vor Hamburg (11 Restaurants) und München (10 Restaurants).

Wer auf die Einzelheiten blickt, kann aber einen spannenden Trend in der Berliner Sternenkonstellation erkennen: Die Spitzengastronomie löst sich zunehmend von den großen Fünfsternehotels. Unabhängige und unkonventionelle Köche mischen in Hinterhöfen und Szenebezirken die Berliner Gastronomie auf. Und das bekommt der Stadt bestens: ob Guide Michelin, Gault Millau, Feinschmecker Guide, Schlemmer Atlas oder Varta-Führer – sie alle haben die Berliner Köche mit hoher Punktzahl, vielen Kochlöffeln und Hauben und natürlich den begehrten Sternen geehrt.

So leuchten über dem alternativen Stadtteil Kreuzberg seit Neuestem zwei Michelin-Sterne. Einen davon erkochte sich Stefan Hartmann, der sein Restaurant „Hartmanns“ im Souterrain einer ruhigen Wohnstraße betreibt und die Pilze für seine Herbstgerichte am liebsten selbst sammelt. Serviert werden zum Beispiel marinierte Kalbshaxenscheiben mit sautierten Pfifferlingen oder pochierter Saibling mit geröstetem und püriertem Blumenkohl. Neben der zeitgemäßen Küche lobten die Michelin-Tester auch das „schöne, recht intime Ambiente“ von Hartmanns Restaurant.

Den anderen Stern für Kreuzberg brachte der bereits mehrfach ausgezeichnete Koch Tim Raue sozusagen aus dem Hotel Adlon mit ins Szeneviertel. Anfang 2010 beendete er die Zusammenarbeit mit dem Fünfsternehaus und verwirklichte mit Unterstützung seines alten Teams aus dem „Ma“ seinen Traum von der Selbstständigkeit. Ganz schlicht „Restaurant Tim Raue“ heißt seine neue Wirkungsstätte, die er im August 2010 in einer ehemaligen Galerie in der Nähe des Checkpoint Charly eröffnet hat. Hier bleibt der Spitzenkoch seinem asiatisch inspirierten Stil treu, den er als „Verbindung der japanischen Produktperfektion, der thailändischen Aromatik und der chinesischen Küchenphilosophie“ beschreibt. Ein Konzept, das schon im „Ma“ gut funktioniert hat und die Tester des Guide Michelin jetzt erneut überzeugen konnte. Eine echte Leistung ist, dass Tim Raue trotz des erst kürzlich erfolgten Restaurantwechsels seinen Status als Anwärter auf einen zweiten Michelin-Stern halten konnte.

Ebenfalls unabhängig und abseits der großen Hotels hat sich Daniel Achilles mit seinem Restaurant „Reinstoff“ etabliert. Er hat sich als originellen Standort das historische Fabrikambiente der „Edison Höfe“ in Berlin-Mitte ausgesucht. Dort kocht er unter der Devise „die Sinne erweitern“ und wurde dafür schon 2009 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, den er in diesem Jahr behaupten konnte.

Berlin Spitzenköche

Primus in der Berliner Gastronomieszene ist schon zum dritten Mal in Folge Küchenchef Christian Lohse vom Restaurant „Fischers Fritz“ im Regent Hotel. Zwei Sterne verlieh ihm der Guide Michelin. Und auch der Gault Millau verortet Lohse mit 19 Punkten im absoluten Spitzenfeld der deutschen Köche, weil er „bestmögliche Zutaten ohne Verfremdung und aufgesetzte Effekte für sich wirken“ lässt. Zu diesen Zutaten gehören, wie der Name „Fischers Fritz“ bereits ahnen lässt, vor allem Fisch und Meeresfrüchte. Ganz besonders der Hummer, von dem nicht nur edle Einzelteile wie Schwanz oder Scheren delikat verarbeitet werden, sondern auch eine echte Rarität: „Homard à la presse“ – zarter Hummerschaum, zubereitet in einer silbernen Hummerpresse französischen Fabrikats, die es in ganz Deutschland nur hier gibt. Originell ist auch eine weitere Spezialität von Stefan Lohse: „Onsenei“. Dabei werden die Eier nach dem Vorbild japanischer Thermalbäder in schwefeligem Wasser gegart.

Geradezu mit dem Lob der Gourmetführer überhäuft wurde in diesem Jahr aber Michael Hoffmann vom Restaurant „Margaux“. Der Feinschmecker-Guide ernannte ihn zum „Koch des Jahres“. Eine Ehrung, die pünktlich zum Jubiläum kommt, denn
Michael Hoffmann führt sein Restaurant seit zehn Jahren in Eigenregie, ohne die finanzielle Unterstützung eines großen Hotels. Typisch für das Margaux sind die edlen, mit Onyx-Stein verzierten Wände und vor allem die „kreative grüne Linie“ der Küche. Michael Hoffmann macht das Gemüse zur Hauptsache auf dem Teller und begeistert die Gäste unter anderem mit „Gelee von geschmorter und geräucherter Paprika“ und „Eis von Vogelmiere“. Das Gemüsemenü „gehört zum Spannendsten, was man derzeit in Deutschland essen kann“, urteilt der Feinschmecker.

Der Gault Millau sieht Hoffmann sogar als führenden Vertreter eines landesweiten Trends, der die „hierzulande noch immer ziemlich brachliegende Gemüsekultur zunehmend ins Blickfeld deutscher Spitzenköche rückt“. Den Großteil seines Gemüses baut Michael Hoffmann auf einem 2.000 Quadratmeter großen Garten bei Potsdam selbst an, darunter seltene Sorten wie Grabudin-Rüben und Black Prince Tomaten. Das wertvolle Grünzeug bekommt in Garten und Küche volle Aufmerksamkeit. Zum Kochen wird ausschließlich Mineralwasser benutzt. Ein Aufwand, den man schmeckt: Der Gault Millau schwärmt von einem „farbgewaltigen Rausch der Sinne (…), der den Gast mitreißt und zu ganz neuen Genusserfahrungen führt“ und verlieh dem Margaux 18 von 20 möglichen Punkten.

Zu den Aufsteigern, die man im Auge behalten sollte, gehört laut Feinschmecker-Guide außerdem der finnische Koch Sauli Kemppainen der im Restaurant „Die Quadriga“ im Hotel Brandenburger Hof kocht. Hier kann man auf der Karte viele skandinavische Köstlichkeiten entdecken, die in Berlin sonst kaum auf die Teller kommen: Moltebeeren, Tannensprossen oder Quappen. Ergänzt werden die Gerichte von einer ausgezeichneten Auswahl an deutschen Weinen. Die Weinkarte mit 1.250 Positionen erhielt vom Feinschmecker den Award für das „beste Angebot an deutschen Weinen“. Eine Empfehlung, der sich auch der Varta-Führer anschließt. Er verlieh der „Quadriga“ drei von fünf möglichen Diamanten.

Wegen Personalwechseln in der Küche verloren mit dem Ma und dem Gabriele gleich zwei von drei Adlon-Restaurants ihren Michelin-Stern. Aber das muss nicht so bleiben, denn die Berliner Hotels bewiesen im vergangenen Jahr ein glückliches Händchen bei der Wahl ihrer Restaurantnachfolger: Hendrik Otto vom „Lorenz Adlon“ gelang es auf Anhieb, den von seinem Vorgänger Thomas Neeser erworbenen Stern zu halten. Einige trauen dem bekennenden Saucenfetischisten sogar einen zweiten Stern zu.

Behauptet hat sich auch Matthias Dieter, der im April 2010 als neuer Küchenchef zum Gourmetrestaurant „First Floor“ im Hotel Palace stieß. Schon im Herbst desselben Jahres fand er sich im „Schlemmer Atlas“ unter den Top drei der Berliner Restaurant wieder. Der Gastro-Führer verlieh ihm 4,5 von 5 möglichen Kochlöffeln. Damit spielt das First Floor in einer Liga mit dem Fischers Fritz und dem Hugos. Der Gault Millau verlieh Matthias Dieter einen Stern und zeichnete außerdem Gunnar Tietz vom „First Floor“ als Sommelier des Jahres aus.

Den Restaurants Facil, Rutz Weinbar, Hugos und VAU gelang es ebenfalls, ihren Stern zu verteidigen und die strengen Michelin-Inspektoren mit kulinarischen Meisterleistungen zu begeistern.
Szenerestaurants und preiswerte Gaumenfreuden

Auch über die Sternekandidaten hinaus, wartet Berlin mit kulinarischen Entdeckungen auf. Jedes Jahr eröffnen neue Szenerestaurants, die Spitzenküche mit modernem Ambiente verbinden. Unter die vom Feinschmecker-Guide als „beste Szenerestaurants“ ausgezeichneten Häuser hat es neben dem Klassiker „Borchardt“ ganz neu auch das „Grill Royal“ an der Friedrichstraße geschafft.

Immer für einen Insidertipp gut ist „Marcellino’s Restaurant-Report“, bei dem die Berliner selbst ihre Lieblingsrestaurants bewertet. Hier gehört ebenfalls das „Borchardt“ zu den „Hot Places“ in Berlin. Als Neueinsteiger in die Top Ten der Kategorie „Premium“ schafften es unter anderem das „Il Nuevo Cristallo“ im Stadtteil Zehlendorf und das Anfang 2010 eröffnete Restaurant „dos palillos“ in Berlin-Mitte. Erfolgreich ist das „dos palillos“ außerdem in der Kategorie „Sexy Food“: Dort schoss der Neueinsteiger direkt auf den ersten Platz. Das „dos palillos“ liegt im Erdgeschoss des Design Hotels „Casa Camper“ und serviert hochmoderne Kreationen mit asiatischen Einflüssen zum Beispiel Ankimo, Seeteufelleber auf japanische Art. Besonders beliebt sind die „Degustations-Menüs“, bei denen bis zu 16 Gänge als Gesamtkunstwerk inszeniert werden. Ungewöhnlich ist auch die Sitzordnung: Alle Gäste sitzen an einem einzigen langen Tisch mit Blick auf die Küche.

Der Guide Michelin schließt sich dem Lob für das „dos palillos“ an, allerdings nicht wegen der Szenetauglichkeit, sondern wegen des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses. In der Kategorie „Bib-Gourmand“ erwähnt der Gourmetführer Häuser die „gute Küche zu moderaten Preisen“ bieten. Neu in diese Kategorie aufgenommen wurden außerdem das „Alpenstück“ und das Restaurant „Neu“.

Restaurants

Alpenstück, Gartenstr. 9, www.alpenstueck.de
Alt Luxemburg, Windscheidstr. 31, www.alt-luxemburg.de
Ana e Bruno, Sophie-Charlotten-Str. 101www.ana-e-bruno.de
Borchardt, Französische Straße 47, www.borchardt-catering.de
Die Quadriga im Hotel Brandenburger Hof, Eislebener Straße 14, www.brandenburger-hof.com
dos palillos im Hotel Casa Camper, Weinmeisterstraße 1, www.dospalillos.com
Facil im The Mandala Hotel, Potsdamer Str. 3, www.facil.de
First Floor im Hotel Palace Berlin, Budapester Str. 45, www.firstfloor.palace.de
Fischers Fritz im The Regent Berlin, Charlottenstr. 49, www.fischersfritzberlin.com
Frühsammers Restaurant, Flinsberger Platz 8, www.fruehsammers-restaurant.de
Grill Royal, Friedrichstraße 105, www.grillroyal.com
Hartmanns Restaurant, Fichtestraße 31, www.hartmanns-restaurant.de
Horváth, Paul Lincke Ufer 44a, www.restaurant-horvath.de
Hugos im Hotel InterContinental, Budapester Str. 2, www.hugos-restaurant.de
Il Nuevo Cristallo,Teltower Damm.52, www.cristallo-berlin.de
Lorenz Adlon im Hotel Adlon Berlin, Unter den Linden 77, www.hotel-adlon.de
Margaux, Unter den Linden 78, www.margaux-berlin.de
Neu, Oranienburger Str. 32, in den Heckmannhöfen, II. Innenhof, www.restaurant-neu.de
Reinstoff, Schlegelstr. 26c in den Edison Höfen Berlin, www.reinstoff.eu
Restaurant Tim Raue, Rudi-Dutschke-Str. 26, www.tim-raue.com
Rutz Weinbar, Chauseestr. 8, www.rutz-weinbar.de
Vau, Jägerstr. 54-55, www.vau-berlin.de

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