Die Kombination von Bitterstoffen könnte für die Intensität des Bittergeschmacks entscheidend sein

Wissenschaftler des Deutschen Instituts für
Ernährungsforschung (DIfE) haben in Zusammenarbeit mit italienischen
Forschern der Universität Piemont erstmals zwei natürliche Substanzen
aus Wermutgewächsen isoliert, die Bitterstoff und Bitterblocker in einem
sind.
Sie aktivieren einige der 25 Bittergeschmacks-Rezeptoren, hemmen
aber gleichzeitig andere Bittersensoren, so dass diese von bestimmten
Bitterstoffen nicht mehr oder nur schwach aktiviert werden. Als Folge
nimmt die Intensität des „Bittersignals“ ab. Die Studie legt damit
nahe, dass nicht nur die Gesamtmenge der Bitterstoffe für die Intensität
des Bittergeschmacks einer Speise entscheidend ist, sondern auch deren
Art und Kombination.

Hierfür spricht auch das folgende Geschmacksphänomen: Genießt man zum
Beispiel, wie in Italien üblich, den intensiv bitter schmeckenden Honig
des Erdbeerbaums (Arbutus unedo) zusammen mit Roquefort-Käse, der
ebenfalls über eine Bitternote verfügt, so verringert sich die
Bitterkeit beider Speisen. Die Forscher gehen daher davon aus, dass es
noch eine Vielzahl weiterer Bitterstoffe in der Natur gibt, die
Bitterblocker und Bitterstoff in einem sind.

Das Wissenschaftlerteam um Erstautorin Anne Brockhoff und Studienleiter
Wolfgang Meyerhof vom DIfE veröffentlichte nun die Ergebnisse in der
Fachzeitschrift The Journal of Neuroscience (Brockhoff, A. et al. 2011;
DOI:10.1523/JNEUROSCI.2923-11.2011).

Der Mensch verfügt über 25 verschiedene Bitterrezeptortypen, mit denen
er tausende natürliche, synthetische und bei der
Nahrungsmittelherstellung und –reifung entstehende Bitterstoffe
erkennt. Dies ist ein großer Unterschied zum Süßgeschmack. Denn Süßes
nimmt der Mensch nur mit einem einzigen Rezeptortyp wahr.

Wie die Geschmacksforscher um Wolfgang Meyerhof bereits vor etwa einem
Jahr zeigen konnten, erkennen einige der Bitterrezeptoren eine breite
Palette von bitteren Substanzen, während andere nur auf wenige
Bitterstoffe reagieren. Jeder Rezeptor besitzt somit sein eigenes
Bitterstoffprofil, das sich teilweise mit den Profilen der anderen
Bitterrezeptoren überlappt.

In der neuen Studie konnte das Forscherteam nun mit Hilfe einer Art
künstlichen Zunge* zeigen, dass die beiden aus Wermutgewächsen
isolierten Substanzen unter anderem einen Rezeptortyp hemmen, der sehr
viele, strukturell unterschiedliche Bitterstoffe erkennt. War der
Rezeptor durch einen der beiden natürlichen Bitterblocker gehemmt,
konnten weder Absinthin noch giftige Bitterstoffe wie Strychnin den
Rezeptor aktivieren, was normalerweise der Fall gewesen wäre. Paradoxer
Weise waren die beiden Bitterblocker aber auch selbst in der Lage,
andere Bitterrezeptoren zu aktivieren.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass es durchaus Sinn macht, dass sich so
viele verschiedene Bitterrezeptortypen mit einem überlappenden
Bitterstoff-Erkennungsprofil beim Menschen entwickelt haben“, sagt
Meyerhof, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am DIfE. „Denn gäbe es
nur eine Art Bitterrezeptor, der durch natürliche Substanzen geblockt
werden könnte, wären Vergiftungen durch andere Bitterstoffe sehr viel
leichter möglich. In Evolutionsmaßstäben gedacht wäre dies ein klarer
Selektionsnachteil**.“ Die Studie wirft aber auch neue Fragen auf,
welche die Wissenschaftler hoffen, eines Tages beantworten zu können. So
die Frage, welche Rolle die natürlichen Bitterblocker für die Evolution
der menschlichen Bitterrezeptoren gespielt haben oder warum die beiden
Bitterblocker ausgerechnet in Wermutgewächsen gefunden wurden, die sehr
viele Bitterstoffe enthalten und zu den bittersten Pflanzen gehören.

Hintergrundinformation:

*künstliche Zunge: Hiermit ist ein zelluläres Testsystem gemeint, mit
dem in vitro untersucht werden kann, ob ein Geschmacksrezeptor von einer
bestimmten Substanz aktiviert wird.
**Die Bittergeschmackswahrnehmung ist angeboren. Bereits Babys können
Bitterstoffe wahrnehmen. Gibt man einem Kleinkind etwas Bitteres, so
versucht es, das Bittere so schnell wie möglich wieder auszuspucken.
Dies macht die orale Gabe bitterer Medikamente in diesem Alter besonders
problematisch. Obwohl nicht generell ein Zusammenhang zwischen
Bitterkeit und Giftigkeit besteht, gehen Wissenschaftler im Allgemeinen
davon aus, dass der Sinn für Bitteres uns vor dem Verzehr giftiger
Nahrung bewahren soll.
Wolfgang Meyerhof leitet am DIfE eine der führenden Arbeitsgruppen, die
sich mit Geschmacksforschung in Deutschland beschäftigen. Der Gruppe ist
es gelungen, alle 25 menschlichen Bitterrezeptor-Gene zu identifizieren.
Bitterrezeptoren findet man auf der Zunge, aber auch im Bereich des
Gaumens, des Rachens und des Kehlkopfs. Bereits 2005 und 2006 hatten
Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Meyerhof gezeigt, dass die Wahrnehmung
des Bittergeschmacks eine wichtige Rolle während der menschlichen
Evolution spielte. Im Jahr 2007 zeigte die Gruppe um Meyerhof, dass
Geschmackszellen über unterschiedliche Bitterrezeptoren-Sets verfügen.
Damit wären zumindest auf molekularer und zellulärerer Ebene die
Voraussetzungen erfüllt, zwischen verschiedenen Bitterstoffen zu
differenzieren.

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen
ernährungsbedingter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention,
Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln.
Forschungsschwerpunkte sind dabei Adipositas (Fettsucht), Diabetes,
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Das DIfE ist zudem ein Partner
des 2009 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten
Deutschen Zentrums für Diabetesforschung e.V. (DZD).

Die Leibniz-Gemeinschaft vereint 87 Einrichtungen, die
anwendungsbezogene Grundlagenforschung betreiben und wissenschaftliche
Infrastruktur bereitstellen. Insgesamt beschäftigen die
Leibniz-Einrichtungen rund 16.800 Menschen – darunter 7.800
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bei einem Jahresetat von
insgesamt knapp 1,4 Milliarden Euro. Die Leibniz-Gemeinschaft zeichnet
sich durch die Vielfalt der in den Einrichtungen bearbeiteten Themen und
Disziplinen aus. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft bewahren
und erforschen das natürliche und kulturelle Erbe. Darüber hinaus sind
sie Schaufenster der Forschung, Orte des Lernens und der Faszination für
die Wissenschaft.

Näheres unter http://www.leibniz-gemeinschaft.de

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