Wenn es um Genuss geht, denken deutsche Eltern zuerst an "Essen und Trinken"

Wenn es um Ernährung geht, redet ganz Deutschland derzeit nur noch
über gesund und ungesund, schwarz und weiß, rot, gelb und grün.
Diskutiert werden neue Verbraucherinformationssysteme und
Produktkennzeichnungen. Es geht um Nährwertkennzeichnungen und
Nährstoffprofile und am Ende auch noch um so genannte Health Claims.
Dabei bleibt das Genießen völlig auf der Strecke, obwohl es – mit dem
richtigen Augenmaß – ein wichtiger Aspekt eines gesunden Lebensstils
ist. Der Arbeitskreis Ernährung des Bundesverbands der Deutschen
Süßwarenindustrie e.V. (BDSI) hat jetzt im Rahmen seines BDSI
Genuss-O-Meter 2007 bundesweit 1.017 Eltern mit Kindern im Alter ab
fünf Jahren zum Thema “Genuss” befragt. Die Studie wurde von TNS
Emnid als telefonische Interviews im Juni 2007 durchgeführt. Das
Kernergebnis: 59 Prozent aller befragten Eltern in Deutschland
verbinden mit Genuss ganz spontan “Essen und Trinken”. Dabei genießen
mehr Westdeutsche (60 Prozent) “Essen und Trinken” als Ostdeutsche
(54 Prozent).

Genuss steht immer in Verbindung mit positiven Sinneseindrücken

Dr. Rainer Lutz, Psychologe und Genussforscher an der
Philipps-Universität Marburg, zeigt sich über dieses Ergebnis
überrascht: “Dass die Befragten `Essen und Trinken´ gegenüber anderen
Genussaspekten so überdeutlich herausstellen, ist auf den ersten
Blick nicht in Einklang zu bringen mit anderen uns bekannten
Untersuchungen. In denen votierten die Befragten in wesentlich
geringerem Ausmaß für Genüsse mit Speisen und Getränken.” Auf der
anderen Seite bewertet Lutz es aber positiv, dass “Essen und Trinken”
für die befragte, im Ausschnitt repräsentativ ausgewählte Gruppe
emotional so positiv besetzt ist. Denn das Genießen steht immer in
Verbindung mit positiven Sinneseindrücken und -erfahrungen. “Es ist
gesund, das leibliche Wohl sinnlich und wohltuend zu verstehen”, so
Lutz. Umso problematischer sieht der Forscher und Therapeut die
derzeitige gesellschaftliche Diskussion zum Thema “gesunde
Ernährung”, die sich auf rein rationale Komponenten reduziert: “Da
redet niemand mehr über das Genießen. Essen wird völlig versachlicht.
Ich sage voraus, dass dieser Versuch ins Leere laufen wird.
Schließlich wissen wir aus der Psychologie, dass Genussverbote
Verstärker für krankhafte Entwicklungen sind.” Und Essen ohne
Emotionen gebe es ohnehin nicht.

Dass “Essen und Trinken” plötzlich so hoch in der Gunst der
Befragten rangiere, schreibt Lutz vor allem gegenwärtigen Trends zu:
“Noch nie zuvor erfolgte in Deutschland eine vergleichbare Exposition
von `Essen und Trinken´ als Genussevent. Allein im Fernsehen jagt
eine Kochshow die nächste. Man kann also wohl von einer
zeitgeistgerechten Prägung sprechen, wenn sich Deutsche nach ihren
Genussfavoriten befragt mehrheitlich spontan für `Essen und Trinken´
begeistern”, so Lutz.

Mit “Sport” verbinden nur wenige Genuss

Auf die offene, telefonisch gestellte Frage: “Was ist für Sie
Genuss?” antwortete lediglich ein Drittel der deutschen Eltern:
“Urlaub”. “Ruhe, Entspannung oder nichts tun” landete mit 14 Prozent
auf Platz drei. “Keine Sorgen haben, Wohlbefinden oder Glück” nannte
nur jeder Siebte und “Zeit mit der Familie verbringen” gab nur jeder
Zehnte als Genuss an. “Draußen sein” ist für 7 Prozent der Eltern
Genuss, “Lesen” empfinden 6 Prozent als genussvoll, “Freunde treffen”
nur überraschende 5 Prozent. “Etwas besichtigen” genießen 4 Prozent
und “Musik machen oder hören” 3 Prozent der Befragten. “Sport” landet
auf den hinteren Plätzen: Gerade 2 Prozent gaben ihn als Genuss an.

In einer weiteren Runde mit geschlossenen, stützenden Fragen
zeigten sich die Eltern beim Genuss durchaus vielfältiger. Abgefragt
wurden zehn verschiedene Statements von: “Ich genieße es, mich zu
bewegen oder sportlich zu betätigen” über “Es ist für mich ein
richtiger Genuss, Zeit mit meiner Familie und meinen Kindern zu
verbringen” bis hin zu “Ich genieße es, ein gutes Buch zu lesen”.
Abseits von “Essen und Trinken” nimmt bei den Befragten die “Zeit mit
der Familie und den Kindern” den ersten Platz ein (98 Prozent
Zustimmung). Auf Platz zwei rangiert die “Zeit, die die Erwachsenen
gern mit ihren Freunden zusammen sind” (96 Prozent). An dritter
Stelle reiht sich “der Genuss einer selbst eingerichteten Ruhepause”
ein (92 Prozent).

Insgesamt sind Frauen genussbetonter als Männer. In acht von zehn
Statements finden sich Mütter eher wieder als Väter: “Männer sträuben
sich zunächst gegen den von ihnen als `weichlich´ eingestuften
Genussbegriff. Das zeigen auch Erfahrungen in der Therapie an
psychosomatischen Fachkliniken oder psychiatrischen Krankenhäusern”,
bestätigt Lutz. Die hessische Philipps-Universität hat eine
Verhaltenstherapie entwickelt, mit der psychisch oder psychosomatisch
erkrankte Patienten wieder lernen sollen, positive Sinneseindrücke zu
intensivieren. Herzstück der Therapie ist die “Kleine Schule des
Genießens”, durch die Betroffene sich oft selbst auferlegte
genussbehindernde Regeln in genussbejahende umformulieren und
sinnliches Genießen wieder zulassen sollen. Es sei interessant und
beruhigend, so Lutz, dass alle männlichen Therapieteilnehmer am Ende
der Schulung Genuss ebenso wichtig und gut bewerten wie die Frauen.
“Männer können also erfolgreich für Genießerthemen sensibilisiert und
begeistert werden. Sie sind lernfähig”, so Lutz.

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