Guide Michelin – Über Sinn, Glaubwürdigkeit und die Frage, was Erfolg eigentlich ausmacht
Die gute Nachricht vorneweg: Die diesjährige Verleihung der Michelin-Sterne in Frankfurt am Main erfolgte nach einem eher bescheidenen Jahr in Hamburg in einem würdigen, perfekt organisierten Rahmen. Das Gesellschaftshaus im Palmengarten bot dafür die entsprechende Kulisse, die Zeremonie ging zügig, aber für die Ausgezeichneten würdevoll über die Bühne und die Aftershow-Party war endlich eine, die ihren Namen verdiente.
Besonders erwähnenswert war die Partnerschaft mit der Stadt Frankfurt, im Zuge der Verleihung wurde ein Festival „Sterne über Frankfurt“ etabliert, das die heimische Sterneszene in die Wahrnehmung der breiten Masse bringen sollte. Dazu bediente man sich im Vorfeld nicht der klassischen Food-Journalisten, sondern setzte auf Influencer. Die Rechnung ging auf, die Veranstaltungen waren ausgebucht, die meist weiblichen Influencer konnten meist sich selbst in Szene setzen. Die Frage nach einer Nachhaltigkeit wird sich erst in einigen Wochen oder Monaten beantworten lassen, wenn aus einmaligen Gästen (zu Sonderpreisen) vielleicht regelmäßige werden.
Wie jedes Jahr war auch dieses Jahr ein Jahr der Rekorde: Zwei neue Dreisterner (in Hamburg das Haerlin und in München das Tohru in der Schreiberei) kamen hinzu, fünf neue Zweisterner und 30 Restaurants wurden erstmals mit einem Stern dekoriert. Macht insgesamt 341 Sternerestaurants in Deutschland, Tendenz steigend.
„ Die Deutschen wissen gar nicht, wie gut ihre Gastronomie ist. Deutschland ist ein gastronomisches Powerhouse“, sagte Gwendal Poullennec, Internationaler Direktor des Guide Michelin in seiner Eröffnungsrede.
Mit Blick auf die ausgezeichneten Restaurants mag das uneingeschränkt zutreffen, für einige, nicht dekorierte Restaurants ebenfalls, für die breite Masse an gastronomischen Betrieben allerdings kaum. Den Deutschen wird oft ein eher unterentwickeltes Verhältnis zur Kulinarik nachgesagt, was sich unter anderem am durchschnittlichen Pro-Kopf-Umsatz zeigt: Zwischen 20 bis 25 Euro liegt er in einfachen bis mittleren Restaurants, bei 60 Euro in gehobenen und zwischen 8 und 12 Euro in Schnellrestaurants. Ob besternte Restaurants also allein für die Ausprägung eines höheren kulinarischen Sachverstands in der Bevölkerung ausreichen, mag zu bezweifeln sein. Denn längst entscheiden nicht unbedingt Sterne für den Erfolg, sondern soziale Medien. Bestes Beispiel ist das Frankfurter Restaurant Zenzakan, das schon immer sehr gut besucht war und auskömmlich wirtschaftete. Christian Mook legt viel Wert auf Prestige, vielleicht ein Grund, weshalb er sein Katsu-Sando überhaupt auf die Karte nahm und die Grenze zur steuerlichen Liebhaberei eher riss als die der Rentabilität. Es handelt sich um eine Vorspeise, die 99,99 Euro kostet und aus einem A5-Miyazaki-Wagyū Sandwich besteht. Nach anfänglich überschaubaren Zahlen boniert der mutige Gastronom die vier Happen große Vorspeise mittlerweile 600 Mal im Monat. Influencern sei Dank, so Christian Mook, der auf einer Feststellung besteht: Der Hype um das Katsu Sando liefert einen reinen Ertrag, denn kein einziger Influencer hat die hochmarmorierten Center-Cut-Stücke jemals geschenkt bekommen. Im Umkehrschluss jedoch kann der Verlust von Sternen erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Während für Insider die Aberkennung des Sterns für das Acquarello in München wenig überraschend kam, fiel der Trierer Gastronom Wolfgang Becker aus allen Wolken. Nach 12 Jahren mit zwei Sternen und weiteren 12 Jahren mit einem Stern entzog ihm der Guide jegliche Auszeichnung. Über das Warum rätselt der tief getroffene Becker selbst und mit ihm die Branche. Insofern könnte ein Fazit lauten: Michelin-Sterne bieten, jedenfalls in Deutschland, nach wie vor eine valide, zuverlässige Orientierung, deren Definition der Guide selbst vorgibt: Ein Stern bedeutet „Eine Küche voller Finesse – einen Stopp wert!“, zwei Sterne: „Eine Spitzenküche – einen Umweg wert!“ und drei Sterne stehen für „Eine einzigartige Küche – eine Reise wert!“. Über wirtschaftlichen Erfolg jedoch sagen sie wenig aus – müssen sie auch nicht.
Zwischen Renommee, Reputation und wer bezahlt eigentlich die ganze Sache?
Während die Vergabe der Sterne in Deutschland für relativ wenig Diskussion in der Branche und bei Fachjournalisten sorgte (Diskussionen gibt es immer, in unterschiedlicher Ausprägung), sieht es bei der Ausgabe in Österreich völlig anders aus. Dort muss der Gastroführer, wie in kleinen Ländern üblich, extern, also ohne Michelin, finanziert werden. Fürsprecher sehen in der Finanzierung des Guide eine ausgeprägte Tourismusförderung, andere, meist Wettbewerber aus Food-Verlagen monieren, dass sie keine Förderung erhalten. Um klar festzustellen: Eine Guide-Ausgabe für Österreich war angesichts der ausgeprägten kulinarischen Landschaft längst überfällig und hat durchaus seine Berechtigung. Jenseits dieser Diskussion gibt es aber Raum für eine andere Diskussion: Wie neutral, wie unabhängig ist das Urteil der Tester? „I pay, you play“, könnte man denken, sieht man sich das Beispiel des Steirereck an. Um klar zu betonen: Nichts wird unterstellt, es wird, analog einer Unschuldsvermutung, redliches Vorgehen vorausgesetzt. Dennoch bleiben Fragen offen: Wenn das Steirereck drei Sterne verdient, warum erst jetzt und nicht schon seit Jahren? Warum war für jeden, der sich in diesem Segment bewegt klar, dass das Steirereck nun drei Sterne bekommt? Kann man überhaupt drei Sterne mit 100 Couverts am Abend machen? Muss für drei Sterne eine Eisnocke zum Dessert nicht zu 100 Prozent perfekt sein oder darf sie, den Geschmack lassen wir außen vor, aussehen, wie von einem Azubi auf einer Autobahnraststätte abgestochen? Welchen Grad an Objektivität kann man von einem Guide erwarten, ab wann geraten Renommee, Reputation und Glaubwürdigkeit ins Wanken?
Das Menü im Steirereck hinterließ bei mir keinen bleibenden Eindruck, ich habe Salz, Säure, Zucker (sogar beim Dessert) vermisst, wirklich etwas herausschmecken konnte ich nicht. Nun sind das subjektive Wahrnehmungen und ich bin ganz sicher nicht der Maßstab und schon gar kein Tester. Aber es gibt eben auch objektive Maßstäbe, an die sich der Guide hält oder halten sollte, die Perfektion einer Eisnocke sollte dazugehören. Insofern hinterlässt die Finanzierung und die Begründung (Tourismusförderung) des österreichischen Michelin einen schalen Beigeschmack: Geld stinkt zwar nicht, aber schmecken kann man es halt doch manchmal. Michael Wanhoff
https://guide.michelin.com/de/de
Quo vadis Michelin?
Zusammenfassung
Guide Michelin – Über Sinn, Glaubwürdigkeit und die Frage, was Erfolg eigentlich ausmacht. Welchen Grad an Objektivität kann man von einem Guide erwarten, ab wann geraten Renommee, Reputation und Glaubwürdigkeit ins Wanken?

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