Bernhard Steinmann interviewt Stefanie Hehn

Doch ich brauch keinen Pater

Und keinen Psychiater,

Wenn ich keinen Ausweg seh’,

Keinen Pharmazeuten,

Keinen Therapeuten,

Ich brauche einen Sommelier! He!

Ich brauche einen Sommelier!

Reinhard Mey

Ein Sommelier/eine Sommelière hat ein umfangreiches Aufgabengebiet. Man benötigt Kenntnisse in Logistik, Lagerhaltung und Qualitätsmanagement sowie profundes Wissen über die verschiedenen Weine, Anbaugebiete, Rebsorten und alles, was zur Weinproduktion gehört. Schließlich muss man die Zusammensetzung von Speisen und Aromen kennen, um den Gästen den richtigen Wein empfehlen zu können.

Eine dieser, ich darf sagen, herausragenden Expertinnen, ist Stefanie Hehn.  

Ihre Karriere begann Stefanie Hehn 2005 mit einer Ausbildung zur Hotelfachfrau im Romantikhotel „Laudensacks Parkhotel“ in Bad Kissingen. Nach weiteren Restaurantstationen in Stuttgart und Warnemünde, konnte sie in der „Villa Rothschild“ in Königstein erste Sommelier-Erfahrungen sammeln. In dieser Zeit legte sie 2009 ihre Prüfung als geprüfte Sommelière bei der IHK ab. Ihre erste Stelle als Sommelière trat Stefanie Hehn 2008 auf „Burg Schwarzenstein“ an, gefolgt 2010 von einer Sommelière-Stelle im Hamburger „Jacobs Restaurant“ im Hotel Louis C. Jacob, bevor sie 2012 an den Tegernsee, ins Restaurant „Überfahrt“ wechselte. Seit 2017 ist sie für alle Weinbelange im Hotel The Fontenay verantwortlich. Der Restaurantführer Gault Millau zeichnete sie 2019 als Sommelier des Jahres aus.

Stefanie Hehn (© The Fontenay)

Mit Stefanie Hehn konnte ich das nachfolgende telefonische Interview führen:

Bernhard Steinmann (B.St.): Sie dürfen sich nun „Master Sommelier“, nennen. 

Weltweit haben bislang in 50 Jahren nur 269 Personen diesen Titel erreicht. Welche Bedeutung hat dies für Sie persönlich und für den gesamten Berufsstand der Sommeliers?

Stefanie Hehn (St.H.): Das hat natürlich für mich eine große Bedeutung. Es ist vor allem großartig, dieses Ziel überhaupt erreicht zu haben. Die Wahrscheinlichkeit des Bestehens ist nämlich relativ gering. Dabei ist der Weg zum Master Sommelier viel interessanter als der Titel selbst.

Auf diesem Weg habe ich viele tolle Menschen kennengelernt. Das allein ist schon ein großer Gewinn. Das bedeutet mir mehr als diese zwei neuen Buchstaben auf der Visitenkarte.

Natürlich ist es auch eine große Ehre für mich, dieser kleinen Gruppe anzugehören. Jetzt habe ich natürlich sehr viel Verantwortung. Mit dem Titel verbunden ist die Verpflichtung als Mentor für andere Sommeliers da zu sein. Im ersten Jahr bekomme ich selbst einen Mentor an meine Seite gestellt, der mich in meine neuen Aufgaben einweist und unterstützt. Man darf lernen wie man andere coacht. 

Der Wissensstand, den man sich bis zum Tag der Prüfung angeeignet hat, sollte natürlich erhalten und weitergegeben werden. Man kann keinesfalls die Bücher zuklappen und das wars. Die Freude am Thema wird erhalten bleiben. 

B.St.: In Ihrer Kernkompetenz als Chef-Sommelière im The Fontenay sind Sie derzeit ausgebremst. Wie verbringen Sie Ihre Zeit in der erneuten und von vielen Gastronomen mit Unverständnis zur Kenntnis genommenen Schließung der Restaurants?

St.H.: Natürlich bleibe ich in Hamburg und versuche so wenig wie möglich Kontakt mit anderen Leuten zu haben. Das ist im Augenblick das was man tun kann in einer so schwierigen Situation. Für die Dinge des täglichen Lebens haben wir in Hamburg einen tollen Einzelhandel und sehr gute Märkte. Da ich sehr viele Kochbücher in den Regalen stehen habe, beschäftige ich mich derzeit mit kochen. Die Frage des Tages ist also die Nahrungsbeschaffung (lacht).

Darüber hinaus ist Weiterbildung angesagt. Wir haben im Hotel einige Kollegen, die sich auf verschiedene Sommelierprüfungen vorbereiten. Wir haben schon zwei Blind-Tastings gemacht. Sie sehen, meine Mentorentätigkeit hat schon begonnen.

Ich habe auch einen kleinen Garten bei dem derzeit Laubarbeiten angesagt sind. Im ersten Lockdown haben viele Leute Renovierungsarbeiten gemacht, während ich mich auf meine Prüfung vorbereitet habe. Nun kann ich selbst mal an Renovierungsarbeiten denken.

B.St.: Sie haben bereits vor dem The Fontenay bzw. Lakeside in namhaften Restaurants gearbeitet. Wie ist das Spannungsfeld zwischen Küche und Weinberatung bzw. Küchenchef und Sommelière? Ist der Star nicht immer der Koch?

St.H.: Eigentlich ist nicht der Koch der Star, sondern das Produkt das von ihm abgeliefert wird. Es ist sehr spannend zu sehen, wie kreativ in den Küchen gearbeitet wird. Sommelier und Küche müssen schon sehr eng zusammenarbeiten. 

Ich hatte bisher großes Glück mit offenen, aufgeschlossenen Köchen zu arbeiten. Das Niveau war immer sehr hoch. Mit einem Michelinstern bis zu drei Michelinsternen wurden die Küchen ausgezeichnet. Wichtig ist dabei immer ein reger Austausch. 

In Bayern hatte ich im Restaurant Überfahrt eine großartige Zeit.

Es ist natürlich für beide Seiten schön, wenn man darüber sprechen kann, was der jeweils andere macht. Nur so kann man allerhöchstes Niveau erreichen. Wenn das alles funktioniert gibt es auch eine stetige Weiterentwicklung.

Der Gast spürt sehr genau, ob es ein Zusammenspiel gibt oder ob nur zwei Einzelkämpfer auf der Bühne stehen.

Auch hier im The Fontenay, im Lakeside, habe ich das große Glück mit Julian Stowasser wieder auf einen sehr guten, wahnsinnig talentierten und weltoffenen Küchenchef zu treffen. Auch unser Küchendirektor des Hotels, Stefan Wilke, ist großartig. Nicht zu vergessen unsere Patisserie, Marco D’Andrea schafft es immer wieder mich mit seinen Kreationen zu überraschen, und gerade hier können wir unsere Gäste begeistern indem wir ungewöhnliche Kombinationen bringen. Die Zusammenarbeit mit diesen komplett unterschiedlichen Richtungen macht sehr viel Spaß. 

Wenn der Wein einmal im Fokus stehen soll, dann können die Küchenchefs auch darauf reagieren.

Wir bieten Events an, bei denen verschiedene Weingüter ihre Jahrgänge vorstellen. Dann ist tatsächlich nicht der Koch der Star, sondern der Wein. Da werden Gerichte für den Weine kreiert. Seit der Eröffnung sind wir hierfür im The Fontenay bekannt und freuen uns, wenn wir wieder loslegen dürfen.

B.St.: Der Sommelier hateine beratende Funktion und doch hat man manchmal den Eindruck, dass nur der Verkauf im Vordergrund steht. Wo sehen Sie Ihren Tätigkeitsschwerpunkt?

St.H.: Natürlich ist die Weinberatung ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit, doch ohne Verkauf hat der Gast kein Erfolgserlebnis und auch ein Restaurant kein Geld verdient. Doch mit Beratung und Verkauf ist es noch nicht getan. In gewisser Weise sind Sommeliers auch Entertainer und wir helfen den Gästen den Moment zu genießen.

Wir möchten, dass die Gäste sich mit den Speisen und dem Wein beschäftigen und alles andere zur Seite drängen können. Wir schaffen Geschmackserlebnisse.

B.St.: Rebsorte, Anbaugebiet, Boden, klimatische Bedingungen, all dies kennt man bevor man die Flasche öffnet. Können Sie mit diesen Informationen schon den Geschmack voraussagen?

Stefanie Hehn (© The Fontenay)

St.H.: Mit diesen Angaben hat man schon eine ungefähre Vorstellung. Doch die Hand des Winzers ist natürlich sehr wichtig. Man muss wissen wie der Winzer arbeitet. Arbeitet er traditionell, konventionell oder biodynamisch, da benötigt man noch weitere Informationen. 

B.St.: Bio-Siegel oder eine Demeter-Zertifizierung vermitteln beim Weinkauf ein gutes Gefühl der Nachhaltigkeit. Ein nachhaltiger Anbau sagt aber noch nichts über die Qualität des Weines aus. Also liegt das Geheimnis guter Weine im Keller?

St.H.: Nein, ich würde nicht sagen, dass der entscheidende Faktor im Keller liegt. Ich möchte mich nicht festlegen aber ich denke, dass 80 % der Qualität eines Weines im Weinberg entstehen. Dazu muss man aber wissen, wer den Wein macht. Eine Bio-Zertifizierung allein macht nicht die Qualität aus.

Ich gebe mal ein Beispiel. Man kann sich die teuersten Fußballschuhe kaufen, spielt aber noch lange nicht so gut wie Messi.

Letztlich ist alles das Ergebnis eines ganzen Jahres. 

Es ist jedenfalls sehr gut, wenn nachhaltig im Weinberg gearbeitet wird. Ob alles funktioniert hat, sieht man später im Glas.

B.St.: Der Klimawandel wird auch im Weinbau große Veränderungen hervorrufen. In Deutschland wird man neue Sorten anbauen können. Doch wird es auch Weine ohne Zukunft in Deutschland geben. Beispielsweise könnte es schwierig werden Eiswein zu erzeugen. Wie sehen Sie die Entwicklung?

St.H.: Es wäre jetzt meiner Meinung nach nicht unbedingt die größte Katastrophe, wenn es keinen Eiswein mehr gäbe. Aber die Veränderungen werden schon recht groß sein. 

Auch in anderen Ländern werden neue Rebsorten zu den üblicherweise vorkommenden angebaut. Man kann davon ausgehen, dass sich dies auch in Deutschland verändern wird. Im Augenblick ist es noch nicht so dramatisch, bis auf die Sache mit dem Eiswein.

In manchen Regionen wirkt sich der Klimawandel noch positiv auf die Qualität des Weines aus. Im Wesentlichen können die Trauben heute reif geerntet werden. das war nicht immer so. Es gab sehr schlechte Ernten in den 1960er und 1970er Jahren. Jetzt hat eine Dekade sehr viele gute Jahrgänge. Man kann kaum noch von Jahrgangsschwankungen sprechen.

Große Herausforderungen sind vor allem für unsere Winzer die extremen Schwankungen in den Temperaturen, von Hitzewellen oder extremen Frösten.

Ebenso vergeht kaum ein Jahr ohne große Hagelschäden welche dann riesige Ernteeinbußen bringen.

Natürlich können sich die Veränderungen auch auf die Haltbarkeit der Weine auswirken. Wenn der Säuregehalt zurück geht, fehlt ein natürliches Konservierungsmittel. Man muss genau hinschauen, welche Weine noch lange gelagert werden können.

Das wird uns jetzt noch nicht sonderlich beschäftigen – nur wenn wir jetzt nicht handeln werden die nächsten Generationen extrem damit konfrontiert.

B.St.: An Bio-Weine und die Mini-Nische Orange-Weine hat man sich gewöhnt. Auch „Konzeptweine“ bei denen Produktmerkmale wie Herkunftsland, Anbaugebiet, Lage, ja sogar Rebsorte und Jahrgang nur untergeordnete Rollen spielen, haben Freunde gefunden. 

Sehen Sie einen neuen Trend am Weinfirmament heranrollen?

St.H.: Ich glaube, dass man in der heutigen Zeit Dinge benötigt die greifbar sind. Je kleiner und genauer die geografischen Angaben sind und wenn man genau weiß, wer den Wein gemacht hat und mit welchen Methoden, kann man damit viel anfangen. 

Ich persönlich bin für eine ganzheitliche Betrachtung.

Für mich ist Nachhaltigkeit und Biodynamie sehr wichtig. Dazu gehört auch, dass der Winzer faire Löhne bezahlt. Bestenfalls noch seinen CO2-Fußabdruck verringert. Letztlich ist aber die Qualität entscheidend. 

Ein Schnäppchen wird man da aber nicht machen können. Ich glaube, dass es viel wichtiger ist, dass das Gesamtpaket stimmt. Zu Glück wird heute viel mehr hinterfragt als früher.

B.St.: Ich persönlich bin ein großer Anhänger der Burgunderweine. Haben Sie auch ein bevorzugtes Weinanbaugebiet? Wobei ich natürlich voraussetze, dass eine Sommeliere doch eher breit aufgestellt ist.

St.H.: Das Burgund ist auch eines meiner Lieblingsgebiete. Das ist eine Region die Emotionen auslöst, wenn man dort unterwegs ist.

Eine sehr schöne Region ist auch das Piemont. Ich glaube, dort ist es noch beeindruckender als im Burgund. Wenn man zum ersten Mal durch die im Nebel gehüllten Weinberge von Monferrato geht, hält man den Atem an.

Auch die Toskana ist großartig, vor allem das Herz der Toskana. Man denkt sofort an Chianti Classico. Zwischen Florenz und Siena gibt es keine Monokultur. Alles ist so vielseitig. Die Landschaft ist so abwechslungsreich.

B.St.: Vielen Dank Frau Hehn für dieses sehr informative Gespräch.

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