Die Bambus Lüge

Trendprodukt Bambusgeschirr – nachhaltige Alternative oder Bambuslüge? Ein sehr fundierter Bericht der Lebensmittelchemiker/-innen in Lebensmitteluntersuchung und -überwachung

Die Bezeichnung “Bambusgeschirr” und die Werbung damit suggeriert dem Verbraucher, dass es sich hierbei um umweltverträglich (“besonders umweltfreundlich”, “biologisch abbaubar” oder “ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt”) hergestelltes Geschirr handelt. Ist das tatsächlich der Fall oder handelt es sich nur um scheinbar “natürliches” Geschirr?

Bambus Einwegbesteck – ist es echter Bambus oder ist der Bambus nur beigemischt?

Dekoratives Geschirr ist ein Garant für eine niveauvolle Speisentafel, aber auch beim gemütlichen Picknick und im Alltag. Insbesondere bei jungen Familien liegt Bambusgeschirr voll im Trend. Hierzu zählen die allseits beliebten “Coffee to go”-Becher, Teller, Tassen, Schalen und insbesondere auch Kindergeschirr. Die Produkte stellen gegenüber Porzellangeschirr eine bruchsichere Alternative dar und sind häufig gefärbt bzw. mit trendigen Mustern versehen, was besonders die Attraktivität bei Kindern steigert.

Die Werbung für derartige Produkte verspricht dem Verbraucher gern ein ökologisch nachhaltiges, umweltfreundliches oder biologisch abbaubares Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Wahrheit sieht jedoch ganz anders aus. Viele Bambusartikel werden aus Melamin-Formaldehyd-Harzen (MFH) und Bambusfasern als Füllstoff hergestellt. Auch wenn der alternative Füllstoff Bambus nachwächst, die damit hergestellte “Bambusware” ist dennoch ein synthetisches Kunststoffprodukt und nicht biologisch abbaubar.

Was ist das Problem?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und mehrere chemische Untersuchungsämter der Bundesländer haben die Bambusartikel auf Materialzusammensetzung, aber vor allem auf unerwünschte Stoffübergänge auf Lebensmittel untersucht. Die Prüfungen erfolgten unter den standardisierten Bedingungen einer Heißabfüllung. Dabei wurde festgestellt, dass im Kontakt mit heißen Lebensmitteln zum Teil hohe Mengen an Melamin und Formaldehyd auf Lebensmittel übergehen können. Besonders unerfreulich für den Verbraucher ist, dass die Freisetzung der beiden unerwünschten Stoffe gerade bei der ökologisch beworbenen Bambusware zum Teil deutlich höher ist als bei den Kunststoffprodukten aus “herkömmlicher” Melaminware. Dementsprechend ist die Eignung von Bambus als Zusatzstoff für die Herstellung melaminhaltiger Küchenartikel in Frage zu stellen. [1-6] Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) fordert in diesem Zusammenhang eine individuelle Neubewertung von Naturmaterialien wie Holz oder Bambus hinsichtlich der Verwendung in Lebensmittelkontaktmaterialien aus Kunststoff. [7] Einige Sachverständige beurteilen inzwischen die Verwendung von Bambusfasern als Füllstoff für Kunststoffgegenstände als unzulässig, weil dieses Material nicht in der Positivliste der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 [9] aufgeführt wird. [6, 8]

Bambus Kaffeebecher

Unerwünschte Stoffübergänge aus kunststoffhaltigen Lebensmittelkontaktmaterialien sind in der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 durch sogenannte “spezifische Migrationsgrenzwerte” (SML) geregelt. Demnach dürfen bei Melamin maximal 2,5 mg pro kg Lebensmittel übergehen, bei Formaldehyd liegt der zulässige SML bei 15 mg pro kg Lebensmittel. [9]

Bleiben Sie aktuell – lesen Sie unseren Newsletter! https://gourmet-report.de/newsletter/

Formaldehyd
Formaldehyd ist haut- und schleimhautreizend und kann nach Einatmen Krebs im Nasen-Rachen-Raum auslösen. Bei oraler Aufnahme über Nahrung oder Trinkwasser wurde dagegen keine Krebsbildung beobachtet. Im Langzeit-Tierversuch zeigten sich aber Entzündungen und vermehrtes Zellwachstum im Bereich des Magens.

Melamin
Im Langzeit-Tierexperiment an Nagern wurde die Bildung von Blasensteinen und ein damit verbundenes erhöhtes Auftreten von Blasenkrebs beobachtet. Die Aufnahme von Melamin führt zur Schädigung der Nieren. Im Jahr 2008 führte eine illegale Streckung von Milchpulver für Säuglinge mit Melamin in China zum Tod von Säuglingen durch Nierenversagen.

Was muss der Verbraucher wissen?

Bambusware” wird häufig als Naturprodukt aus Bambus beworben. Die Verwendung eines MFH wird nicht selten verschwiegen oder lediglich im Kleingedruckten erwähnt. Erhöhte Achtsamkeit ist besonders bei “Coffee to go”-Bechern und bei Kindergeschirr-Sets geboten. Verbraucher sollten unbedingt die Angaben zur sicheren und sachgemäßen Verwendung beachten. Bambusware sollte keinen hohen Temperaturen (über 70 °C) ausgesetzt werden. Derartige Produkte dürfen auf keinen Fall zum Erwärmen von Speisen in der Mikrowelle benutzt werden. Wenn auf den Verpackungen oder Etiketten keinerlei Hinweise zur Anwendung oder zur Materialzusammensetzung zu finden sind, sollte besondere Vorsorge bezüglich hoher Temperaturen gelten.

Auch bei der Reinigung des Geschirrs und der Küchenutensilien sind hohe Temperaturen zu vermeiden. Andernfalls kann das Material an der Oberfläche angegriffen werden und der Übergang bedenklicher Stoffe ggf. steigen. In diesen Fällen, aber auch bei Beschädigungen sind die Gegenstände auszuwechseln.

Gibt es auch “echte” Bambusartikel?

Im Gegensatz zur melaminhaltigen “Bambusware” gibt es allerdings auch Bambusartikel auf dem Markt, die ohne ein MFH auskommen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Schneidebretter oder Kochutensilien aus Bambusholz. Verbraucher können diese “echten” Bambusprodukte an der deutlichen Holzstruktur bzw. Holzmaserung erkennen.

CHROMA type301 Bambus Messerblock, zerlegbar – aus echtem Bambus

Fazit

Sogenannte Bambusware, welche synthetisches Melaminharz enthält, stellt weder für den Verbraucher noch für die Umwelt eine sinnvolle Alternative zu herkömmlichem Geschirr aus MFH dar. [4]
Die regelmäßige Untersuchung auf unerwünschte Stoffübergänge und korrekte Bezeichnung von Lebensmittelkontaktmaterialien wie Geschirr ist daher ein wichtiger Bestandteil der amtlichen Überwachung von Lebensmittelkontaktmaterialien. Durch die Laboruntersuchungen und in Zusammenarbeit mit den Kollegen/-innen der Vollzugsbehörden tragen die Lebensmittelchemiker/-innen in den Untersuchungsämtern in Deutschland dazu bei, das hohe Niveau der Sicherheit von Lebensmitteln in Deutschland weiter hoch zu halten.

Damit der Verbraucherschutz in Deutschland weiterhin einen hohen Stellenwert besitzt, wehrt sich der BLC gegen Einsparungen am falschen Ende und fordert die Bereitstellung einer ausreichenden personellen und apparativen Ausstattung sowie die Berücksichtigung des Täuschungsschutzes neben dem Gesundheitsschutz bei der Probenahme und der Untersuchung.

Der BLC fordert gerade auch für die Überwachung von Lebensmittelkontaktmaterialien den Einsatz von Lebensmittelchemikern/-innen nicht nur im Untersuchungsbereich, sondern auch in allen Kontrollbehörden vor Ort.

Lebensmittelchemiker/-innen in Lebensmitteluntersuchung und -überwachung sind

  • Experten in Sachen Lebensmittel, einschließlich Wein sowie für Kosmetika und Bedarfsgegenstände, Lebensmittelrecht und -analytik
  • Kompetente Berater der Verwaltung, der Politik und der Verbraucher

Literatur: (Internetlinks abgerufen im Juli 2020)

  1. Bundesinstitut für Risikobewertung, Fragen und Antworten zu Geschirr und Küchenutensilien aus Melamin-Formaldehyd-Harz vom 25. November 2019 https://www.bfr.bund.de/de/fragen_und_antworten_zu_geschirr_und_kuechenutensilien_aus_melamin_formaldehyd_harz-70413.html
  2. Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: BVL-Report 14.4 Berichte zur Lebensmittelsicherheit 2018 Monitoring Programm 5.3.5 Migration von Melamin und Formaldehyd aus Melamin-Formaldehyd-Harz, Harnstoff-Formaldehyd-Harz und Phenol-Formaldehyd-Harz aus zum Verzehr von Lebensmitteln bestimmten Kunststoff-Bedarfsgegenständen (hergestellt unter Verwendung von natürlichen Rohstoffen, z. B. Bambus, Mais) S. 87 https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/01_Lebensmittel/01_lm_mon_dokumente/01_Monitoring_Berichte/2018_lm_monitoring_bericht.pdf?__blob=publicationFile&v=8
  3. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL): Bambusartikel – nicht nur aus natürlichen Materialien – Untersuchungsergebnisse 2018 https://www.lgl.bayern.de/produkte/bedarfsgegenstaende/bg_lebensmittelkontakt/ue_2018_bambusartikel.htm
  4. Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Münsterland-Emscher-Lippe (CVUA MEL): Jahresbericht 2018, Seite 25f https://www.cvua-mel.de/images/cvua/JB2018/Jahresbericht%202018.pdf
  5. Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA Stuttgart): Untersuchungen des Übergangs von Melamin und Formaldehyd aus “Bambusgeschirr” – ein Update vom 17.07.2019
    https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=3&ID=3004
  6. Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Saarland: Vorsicht bei Coffee to go-Bechern aus Bambus – Verbraucherschutzminister und Verbraucherzentrale warnen vor Produkttäuschung vom 03.04.2019
    https://justiz-soziales.saarland.de/SID-E536B293-3BA6FCF3/246649.htm
  7. Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), 2019: Update of the risk assessment of ‘wood ?our and ?bres, untreated’ (FCM No 96) for use in food contact materials, and criteria for future applications of materials from plant origin as additives for plastic food contact materials https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2019.5902
  8. Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA Stuttgart): Bambus in Coffee-to-go Bechern – legal auf dem Markt? vom 13.07.2020 
    https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=3&ID=3205&lang=DE&Pdf=No
  9. Verordnung (EU) Nr. 10/2011 vom 14. Januar 2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen
    https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:32011R0010

BLC – Bundesverband der Lebensmittelchemiker/-innen im öffentlichen Dienst e.V.

Zusammenfassung

Die Bezeichnung “Bambusgeschirr” und die Werbung damit suggeriert dem Verbraucher, dass es sich hierbei um umweltverträglich (“besonders umweltfreundlich”, “biologisch abbaubar” oder “ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt”) hergestelltes Geschirr handelt. Ist das tatsächlich der Fall oder handelt es sich nur um scheinbar “natürliches” Geschirr?

Sende
Benutzer-Bewertung
0 (0 Stimmen)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.