Bernhard Steinmann interviewt Billy Wagner

Das Berliner Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig von Billy Wagner schaffte gerade den Einzug in die Liste der „The World’s 50 Best Restaurants 2018“. Platz 88 ist aller Ehren wert.

Ich persönlich stehe dem Restaurant durchaus positiv gegenüber, auch wenn ich in der Gesamtbeurteilung bisher eher zurückhaltend war.

Die Frage ist nun mal, was denken sich die „Nobelharten“ dabei, die Menüs regional, saisonal, puristisch und reichlich vegetarisch anzubieten, die Sachen so und nicht anders zu kombinieren. Die Gäste an einen Tresen zu setzen und die Küchencrew unter Beobachtung zu nehmen. 

Nun, darüber muss ich mir keine Gedanken mehr machen, denn Billy Wagner hat mir einen Gedankenaustausch und einen kleinen Blick, sozusagen hinter die Kulissen, angeboten.

Daraus ist das nachfolgende Interview entstanden.

Bernhard Steinmann (B.St.): Köche mit deutlich erkennbarer Handschrift wie Micha Schäfer, Sebastian Frank oder Andreas Rieger, werden gerne der Autorenküche zugeordnet.

Mögen Sie solche Schubladen?

Billy Wagner (B.W.): Ich finde es gut, wenn man einen Teller sieht und kann ihn einem Koch zuordnen. Ich finde es gut, wenn man ein Gericht probiert und sagt, ja, das ist er. Andreas Rieger kocht etwas technischer und verkopfter und Sebastian Frank ist einfach ein Pfundskerl. Er ist ein netter, ehrlicher Typ, er macht nicht viele Schnörkel und ist im positiven Sinne nicht abgehoben. So sind auch seine Gerichte. Sie sind durchdacht, da ist ganz viel Effet drin. Ich habe zuletzt im Dezember bei ihm gegessen und das ist eine exzellente Wirtshausküche mit schmackigen Gerichten und alles superfein. Da war viel Butter drin, das war sehr winterlich. Das hat richtig Spaß gemacht.

Micha ist halt ein total ruhiger Charakter, der mich immer wieder mit tollen Ideen überrascht. Ich bin total stolz darauf, mit ihm zu arbeiten, weil er einen anderen Blick auf die Dinge hat, weil er so viel Mut hat, Dinge einfach mal anders zu machen. Zum Beispiel so provokant den kleinen rohen Kohlrabi zu tournieren und dann Butterbrösel hinzuzugeben oder wir haben gerade ein Rhabarberdessert mit Buttercreme und Streusel und rohem Rhabarber obendrauf. Dann gibt es noch ein bisschen Himbeerschnaps dazu, damit noch etwas Alkohol dahinter ist, das ebnet den Geschmack. Wenn man das hört, Kuchen, Streusel, Buttercreme, da denkt man doch sofort an ein schweres Gericht. Doch dieses Gericht ist so anders, weil es super subtil und leicht daher kommt. Die Streusel sind etwas aufgeweicht, die Buttercreme ist superleicht.

Ob Schubladen immer sein müssen, weiß ich nicht. Es ist aber gut, die Leute zu charakterisieren, damit man weiß auf was man sich einlässt. Wir bauen gewisse Hürden ein, damit die richtigen Leute zu uns kommen, die das wollen, die das mögen, was wir tun. Es bringt nichts, wenn Leute zu uns kommen, die nicht von ihrer Erwartung abweichen können. Deshalb finde ich Berichte über das Restaurant ganz wichtig, damit die Leute das lesen und nicht mit völlig anderen Erwartungen zu uns kommen.

Man muss das ja nicht goutieren was wir da machen, aber wenn man denkt, das passt zu einem, man hat Lust auf ein einheitliches vorgegebenes lokales Menü, man möchte mit anderen Leuten an der Theke in einer Reihe in der Küche sitzen, man kommt mit dem links und dem rechts in Kontakt, dann ist man vielleicht richtig bei uns. 

Habe ich zehn Freunde und die sind alle Foodies und man kommt zu uns essen und man will an der Theke sitzen, will sich mit den Köchen austauschen, dann ist das der perfekte Raum. Habe ich ein super wichtiges Geschäftsessen und ich weiß jetzt schon es könnte Schwierigkeiten geben, dann suche ich vielleicht etwas Intimeres… 

Foto Bernhard Steinmann

B.St.: Ich möchte mal gerne die Produktqualität ansprechen, die strenge Ausrichtung nach regionalen, saisonalen, teilweise vegetarischen Produkten. Findet man in der Region tatsächlich immer die erforderliche Qualität? Vielleicht haben international ausgerichtete Restaurants mehr Möglichkeiten geeignete Händler und Qualitäten aufzufinden? Hier sind Sie auf das angewiesen, was die Region so bringt. Macht dies Schwierigkeiten beim Entwickeln der Speisekarte?

B.W.: Das war am Anfang schwieriger als jetzt.

Als wir angefangen haben, war die Gastronomie bei den Lieferanten nicht sonderlich auf dem Schirm. Die Gastronomie bezahlt vielleicht mehr als der Endkunde, nimmt aber nicht so viel wie der Großhandel ab und hat eine genaue / andere Vorstellung von der Größe und Vergleichbarkeit eines Produkts, Verfügbarkeit über einen gewissen Zeitraum und einer gewissen Qualität. Grete Peschken, um ein Beispiel zu nennen, kommt zweimal die Woche nach Berlin, am Mittwoch und am Samstag. Sie beliefert das Reinstoff und uns und ein paar Andere. Unser südlichster Lieferant ist bei Mittweida, in der Nähe von Chemnitz. Grete Peschken und Olaf Schnelle sind kurz vor Stralsund. Das sind 500 km Entfernung um Berlin herum.

Wir haben mittlerweile ein großes Netzwerk um Berlin herum von unterschiedlichen Erzeugern und Lieferanten um gewisse Engpässe oder Qualitätsunterschiede auszugleichen. Es gab aber auch schon Situationen, wo wir ein Menü ohne Fisch anbieten mussten. Wenn es also keinen Fisch gibt, den wir auf den Teller legen wollen, dann gibt es keinen Fisch. Das muss man halt auch einmal in Kauf nehmen. Dann gibt es halt mehr Gemüse oder etwas anderes.

Über die Jahre steigt aber auch die Qualität der einzelnen Produkte. Wir haben jetzt endlich jemand der uns ganz großartigen Spargel liefern kann. Ohne Folie angebaut, drei Jahre alte Pflanzen. Keine Chemie. Den Spargel kann man roh essen, man muss ihn noch nicht einmal schälen.

Die Produzenten sind nicht Rohstofflieferant, sondern stellen Lebensmittel her und liefern uns diese. Zuletzt hatten wir wieder ganz junge Lindenblätter bekommen. Micha war total begeistert, da die so ähnlich wie Spinat sind, aber trotzdem etwas mehr Biss haben. 

Wir haben Anfang des Jahres eine Stelle im Restaurant geschaffen, wo wir einen Mitarbeiter haben, der immer wieder beim Produzenten ist um zu helfen und auch Produkte zu entwickeln. Jemand der zum Beispiel vor ein paar Wochen an der Glienicker Brücke Luftzwiebeln – das sind so kleine Kügelchen vom Wunderlauch, bevor die Blüte aufgeht – wild geerntet hat. Jemand der für uns ganz schnell reagieren kann um immer beste Produkte im Restaurant anbieten zu können.

In dem wir nach den Eigenheiten der Region suchen und uns von den typischen Luxusprodukten abwenden, essen die Gäste bei uns anders als in den meisten Restaurants. Grundsätzlich ist es doch so, dass sich die Restaurants doch irgendwie alle gleichen. Alle haben Wagyu, Carabinero, Foie gras oder wildgefangenen Steinbutt auf der Karte. Am Ende hat man 25 bis 30 Produkte, die man überall auf der Welt sieht. Dadurch entsteht eine Vereinheitlichung. Letztlich ist es doch austauschbar. Da sind dann unsere Produkte im Vergleich zu anderen extrem ungewöhnlich und das hat schon eine gewisse Bedeutung oder Reiz, weil dadurch eine neue Facette entsteht. Damit positionieren wir uns und bieten eine Alternative. 

Ich würde nie ein klassisch arbeitendes Restaurant für seine Arbeit kritisieren. Möchte ich immer so essen, nein. Möchte ich immer so essen wie bei uns, auch nein. Viele Mütter haben schöne Töchter und die haben alle ihren Reiz. Das ist ja genau das, was Essen auch ausmacht. Man findet unterschiedlichen Geschmack auf den Tellern.

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Billy Wagner bei der Michelingala für den Guide Michelin 2016, damals noch mit Vollbart (Foto: Bernhard Steinmann)

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B.St.: Ein Leser hat mir einmal geschrieben, dass er aus Interesse das Nobelhart & Schmutzig besucht, nicht des Genusses wegen. Wird Ihr Konzept missverstanden?

B.W.: Das Nobelhart & Schmutzig ist aus meinen Erfahrungen, wie ein Abend sein kann, entstanden. Ich mag einen Raum, der Wärme ausstrahlt, in dem man sich zu Hause fühlt. Ich mag nichts Aufgesetztes vom Service, wo man so eine standardisierte Freundlichkeit erlebt. Ich wollte, dass die Party in die Küche geholt wird und dass die Menschen sehen wie „schön“ Essen und Lebensmittel sein können. Alles was der Gast erlebt, erlebt er bewusst, weil wir uns darüber Gedanken gemacht haben. Genuss bedeutet mehr als nur Essen und Trinken. Ich habe mir den ganzen Abend angeschaut und mich gefragt, wie würde ich es gerne haben wollen. 

B.St.: Das entsteht somit im Gesamtpaket. Alles muss zusammenpassen.

B.W.: Ja, genau. Eines der größten Essen meines Lebens hatte ich im Asador Etxebarri, wo ich heute noch das Menü aufzählen könnte. Ich möchte nicht diese super-unverständlichen Teller, wo tausend Dinge draufliegen. Diese Teller wollen zu viel Aufmerksamkeit. Es geht nicht um den Gast, sondern um den Koch. Was der alles gemacht hat bzw. was er alles kann. Ich will es einfach haben, weil dann noch Platz für ein gutes Gespräch bleibt. Ich will nicht die große Oper bei uns. Ich möchte eine einfache, verständliche Küche, die für den Abend noch Raum lässt, wo ich mich auch noch angeregt unterhalten kann. Und trotzdem soll die Küche nicht banal oder langweilig sein. Sie kennen das bestimmt. Man hat wahnsinnig gut gegessen, aber am Ende weiß man nicht mehr was es eigentlich alles gab. Schrecklich!

Wir sprechen ein jüngeres Publikum an, aber wir sprechen eben auch den erfahrenen Esser an, weil er bei uns anders als in normalen „Sterne-Restaurants“ isst. Jemand der auch mal auf Abwechslung aus ist. Aber das muss man auch wollen. Will man das nicht, wird man bei uns nicht glücklich. Wer noch nicht so große Erfahrungen mit Sternerestaurants hat, fühlt sich vielleicht schnell wohl bei uns. Weil wir nahe am Gast sind und er sich nicht verstellen muss. 

B.St.: Ich möchte nun auf den Michelinstern zu sprechen kommen. Schmückt der Stern des Guide Michelin das Restaurant Nobelhart & Schmutzig oder schmückt das Restaurant den Guide Michelin?

B.W.: Der Michelin hat sich verändert. Als das Essigbrätlein in Nürnberg oder auch das Le Moissonier in Köln einen zweiten Stern bekommen haben, war das schon eine sehr große Sache. Ich denke, als man uns einen ersten Stern gegeben hat, auch.

Im Rückblick fand ich das vom Michelin schon sehr mutig, uns einen Stern zu geben. Gleich im ersten Jahr. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich uns, nachdem was wir heute machen, im ersten Jahr den Stern nicht gegeben. Wir fanden es aber trotzdem wichtig, weil der Michelin damit ein Zeichen für Eigenständigkeit gesetzt hat, diese Art von Küche erstmals auf den Schirm von vielen Leuten geholt hat. Diesen Mut und diese Visionen haben nun immer mehr Köche. Heutzutage bin ich fest davon überzeugt, dass der Stern verdient ist. Wenn ich an Gerichte von damals denke und unsere heutigen Gerichte sehe, wird schnell klar, dass die Dinge heute viel besser greifen. Die Produkte sind besser geworden, die Kombinationen sind stimmiger. Sie sind nicht mehr ganz so aggressiv, sind feiner, eleganter geworden. Da kommt auch mehr Selbstvertrauen ins Spiel, mehr Erfahrung.

Nach dem ersten Stern waren wir in Karlsruhe und haben unsere Wertung erfragt. Wir waren sehr neugierig. Die Tester waren viermal bei uns. Die Entscheidung wurde unterschiedlich diskutiert. Das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Der Stern ist schon wichtig für uns. Das Restaurant war auch vorher extrem gut besucht, doch danach hatten wir die krassesten Wartelisten, die man sich nur vorstellen kann. Ich hätte nie erwartet, dass man auf einmal so krass in den Fokus gerät.

B.St.: Gibt es noch etwas, was Sie gerne meinen Leserinnen und Lesern mitteilen wollen?

B.W.: Für mich ist wichtig, dass die Gäste die zu uns kommen wollen wissen, dass wir einen  unterschiedlicheren Wertekosmos haben als das klassische Sternerestaurant, oder als die klassisch deutsche Gastronomie. Was wir als wertvoll erachten ist etwas konträrer zu dem was allgemein als wertvoll gilt. Für uns ist es wichtig den Menschen zu kennen, der hinter dem Produkt steht und diesen Wert versuchen wir auch den Menschen mitzugeben. 

B.St.: Deshalb stehen auch die Erzeuger auf der Speisekarte.

B.W.: Ganz genau. Deswegen reden wir häufig auch über die Menschen, die hinter dem Produkt stehen. Oder wo das Produkt herkommt. Um den Gästen einen Wert zu vermitteln, der in der heutigen Zeit als etwas Besonderes gilt. 

Die Zeit die damit einhergeht, ist uns super wichtig. Man muss den Leuten die Möglichkeit geben, ganz in Ruhe bei uns zu essen, Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen. Ein Austausch mit anderen Gästen, die Art der Produkte, das ist unser Wertekosmos.

Der Gast muss wissen was mir machen und muss seine Erwartungen danach ausrichten. Wenn er es schafft sich auf unsere Werte einzulassen geht er am Ende des Abends zufrieden nach Hause.

B.St.: Ein schönes Schlusswort. Vielen Dank.

Kurzfassung

Die Frage ist nun mal, was denken sich die „Nobelharten“ dabei, die Menüs regional, saisonal, puristisch und reichlich vegetarisch anzubieten, die Sachen so und nicht anders zu kombinieren. Die Gäste an einen Tresen zu setzen und die Küchencrew unter Beobachtung zu nehmen. 

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