Frühsammers Restaurant – Bericht von B. Steinmann

Das spanische Hofzeremoniell war ziemlich kompliziert in seiner Gesamtheit von Ritualen und feierlichen Handlungen. Es wurde im 15. Jahrhundert entwickelt und verbreitete sich rasch. Es ging dabei mehr oder weniger darum, die damaligen Eliten in ein hierarchisches Herrschaftssystem einzubinden. Um die komplizierten Benimm- und Verhaltensregeln zu erlernen, bediente man sich eines Spickzettels. Diese inhaltlichen Informationen nannte man Etikette. Noch heute befinden sich auf Etiketten wichtige Informationen. Beispielsweise an der Kleidung. Üblicherweise schneidet man diese Etiketten ab, sobald man mit der neuen Garderobe zu Hause angekommen ist.

Auch ich möchte mir heute ein Etikett näher anschauen und entfernen. Gemeint ist das Etikett welches gerne Sonja Frühsammer angeheftet wird. Darauf steht: „Berlins Beste Köchin“.

Nun, sie ist Berlins einzige Sterneköchin. Soviel steht fest. Und sie konkurriert nicht mit anderen Damen, sondern mit ihren männlichen Kollegen. Deshalb empfinde ich das Etikett der besten Köchin Berlins als wenig aussagekräftig und es wird ihr überdies in keiner Weise gerecht.
„Berlins bester Koch“ würde sofort verdeutlichen, wer in der männlichen Riege von Küchenchefs die Nase vorn hat. Doch wo ist die weibliche Konkurrenz für Sonja Frühsammer?
Damit ich nicht falsch verstanden werde, ich möchte im Berliner Gaststättengewerbe nicht für den Posten des Gleichstellungsbeauftragten kandidieren. Was ich aber möchte, ist die Leistung Sonja Frühsammers nachvollziehbar einzuordnen.

Nimmt man ausschließlich die Michelinsterne als Bezugsgröße, bekommen wir noch kein sehr genaues Bild. Also ziehen wir einen weiteren Restaurantführer zu Rate, den Gault&Millau. Dort kommt sie immerhin auf 17 Punkte. Das ist, kaum zu glauben, einer mehr als Herr Lohse hat, der zwei Michelinsterne sein eigen nennt. Ja, es gibt tatsächlich keinen Einsterner in Berlin, der mehr Punkte bei Gault&Millau hat als Sonja Frühsammer. Einige weisen sogar nur 15 Punkte auf. Deshalb finde ich, ist das Etikett von der besten Köchin Berlins falsch beschriftet. Sonja Frühsammer gehört zur Kochelite Berlins. Punkt. Alles andere wird ihr nicht gerecht.

Doch nun zurück zu unserem Dinner.
Während wir die obligatorischen Küchengrüße genießen, können wir im Freien die zufriedenen Bistrokunden beobachten, die eine grundsolide Bistroküche und ein kaltes Bierchen genießen. „Grundschlag“ nennen die Frühsammers das Bistro und Sie können nun rätseln, ob damit Grundnahrungsmittel oder eine grundsätzlich regionale Küche gemeint ist. Probieren Sie es doch einfach aus.

Aus dem Reigen der Amuse Bouches habe ich zwei fotografiert:

Estragon, Sauerteig, Sesam und Rote Bete

und die unvermeidlichen Süppchen:

von links:
Süsskartoffel,
geröstete Krustentierconsommé,
Brunnenkresse

Sie kennen sicher Überraschungsmenüs, oder die Carte blanche, kurzum der Blankoscheck für die Küche.
Sonja Frühsammer bietet auch so etwas an. Man sucht nicht aus, was man möchte, sondern gibt zu Protokoll was man nicht möchte.
„Sonja soll kochen“ heißt diese Variante und genau deshalb sind wir hier.
Sonja soll kochen, die Steinmänner werden essen.

Confiertes Schweinekinn, gegrillte Ananas, Wasabitapioka, Erdnuss

Es klingt deftig, ist aber raffiniert zusammengesetzt und geschmacklich breit gefächert.

Gelbflossenmakrele, Rettich, Teriyakisauce, Champignons, Koriander, Hühnerhaut

Erneut erleben wir einen bunten Mix aus unterschiedlichen Geschmacks- und interessanten Schärfenoten.
Wie viele bekannte Saucen kommt auch Teriyaki aus Ostasien. Die Mischung aus Soja, Sherrry, Zucker, Ingwer, Koblauch und was immer einem noch beliebt, gibt der Makrele den entscheidenden Kick. Zusätzliche Würze erhält die Kombination durch den Rettich. Verschiedene Cremes runden das Ganze ab.

Die Anzahl der verwendeten Zutaten fällt eigentlich erst bei der anschließenden Dokumentation besonders auf. Die Kreation ist bestens geschmacklich ausbalaciert und stimmig.

Rochen, Fenchel, Aprikose, Safransud

Mit dem Rochen folgt ein Stilwechsel. Die Zutatenliste wird etwas kleiner gehalten, dafür übernimmt der wuchtige Safransud die Hauptrolle.
Köstlich.

Brandenburger Rehbock, grüner Spargel Knödel, Ochsenmark, Pfifferlinge, Haselnuss

Das sogenannte Hauptgericht ist bei einem Menü üblicherweise der Höhepunkt. Traditionell handelt es sich um ein Fleischgericht. In der Hochküche würde ich diese Interpretation allerdings stark abschwächen. Das Herzstück eines Menüs ist eher dasjenige, das den nachhaltigsten Eindruck beim Esser hinterlässt. Hinzu kommt, dass ich in letzter Zeit mit den Fleischgerichten etwas unzufrieden bin. Daher ist es für mich umso erfreulicher, was Sonja Frühsammer mit dem Brandenburger Rehbock gelungen ist.
Dabei begeistert nicht nur das tadellose Fleisch, auch die mit Bedacht ausgewählten schmackhaften Begleiter beeindrucken und runden das Aromenbild ab.

Grüner Apfel, Zitronenmelisse, Joghurt, Macadamia

 

Wein und Service:

2014, Kaufmann Wisselbrunnen Rheingau Riesling.

Trocken ausgebaut, leichter Geschmack von Gerbsäure mit Quittenaroma und süß-säuerliche Mirabellennoten konkurrieren um die Vorherrschaft.
Weitere Nuancen werden am Gaumen erkennbar, vielleicht etwas Aprikose.

2015 Chardonnay R, Kühling-Gillot

Ein frischer Wein mit zarten Holzeinflüssen. Ich denke, in ein paar Jahren wird sich der Trinkgenuss steigern.

QuerKopf, Weingut Schätzel, Silvaner

Der Wein hat eine schöne Tiefe und ein zartes Säurespiel. Hinzu kommen die von mir so geliebten gelben Früchte und eine deutliche Mineralik.

1999 Chateau Cantenac Brown, Margaux, Grand Cru Classé

Ein toller Tropfen zum Rehbock, mit einem lang anhaltendem Finale.

Heitlinger Blanc de Noir Brut

Vollmundig mit deutlichen Fruchtnoten.

Der Service ist wie immer sehr freundlich, sachkundig und auskunftsfreudig.
Leider ist mir der Name des Sommeliers nicht mehr geläufig. Seine profunde Kenntnis und die sehr gelungene Auswahl der Weine hätten eine Namensnennung verdient.

FAZIT:

Dafür, dass das Restaurant nur einen 10-minütigen Fussweg von uns entfernt ist, kommen wir viel zu selten. Jedesmal gelobe ich Besserung, so auch diesmal.

Sonja Frühsammer hat sich still und leise weiterentwickelt und bietet eine Küche an, die Freunde klassischer Küche und Anhänger einer moderneren, zeitgemäßeren Küche gleichermaßen anspricht. Die Kreationen sind stark produktorientiert und geschmacklich ausbalanciert. Es steht nicht nur ein Geschmack im Vordergrund, vielmehr wird versucht gegensätzliche Aromen zu verbinden, zu bändigen und neue Geschmackswelten zu offerieren. Am Beispiel der Gelbflossenmakrele wird dies besonders deutlich.

Man kann darüber streiten, ob manchmal zuviele Zutaten verarbeitet werden, dem Genuß steht dies nicht im Wege.

Die dazugehörigen Fotos sehen Sie bei

http://www.bsteinmann-gourmet-unterwegs.de

 

 

Sende
Benutzer-Bewertung
5 (1 Stimme)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.