Die Reifung von Weißwein – der Jahrgang 2010

Trinken wir unsere Weine zu jung?

Ein Wein ist dann auf dem Höhepunkt und bietet den höchsten Genuss, wenn sich seine Inhaltsstoffe in höchster Harmonie befinden. Doch wann ist das? Wie lange soll man ihn noch auf der Flasche reifen lassen und wie bei sich lagern? Grundsätzlich gilt: Wo nicht viel ist, kann nicht viel reifen, so dass man einfache Weine am besten jung trinkt. Bei hochwertigen Rotweinen ist jedoch bekannt, dass sie über Jahre, sogar Jahrzehnte hinweg noch aufbauen und dabei immer weicher und komplexer werden. Heute weiß man, dass sich aus den Farb- und Gerbstoffstoffen allmählich hochmolekulare aromatische und weich schmeckende Tannine bilden. Doch wie ist das bei Weißwein, der deutlich weniger Farb- und Gerbstoffe enthält? Wie jeder weiß, zeigt Traubensaft völlig andere Aromen als Wein, denn die wichtigsten Aromen des Weins bilden sich mit der Gärung. Junge Weißweine schmecken grundsätzlich sehr fruchtig. Es ist die Schönheit der Jugend, auch wenn die Säure noch recht präsent ist. Einfache Weißweine bieten nicht viel mehr, und die Fruchtaromen werden bereits nach einem Jahr, teils schon früher, wieder schwächer. Also: trinken und genießen!

Doch bei viel Gehalt und Extrakt zeigen auch Weißweine viel Potenzial zum Reifen. Dann ist die Entwicklung mit der Gärung noch keinesfalls abgeschlossen. Höhere Öchslegrade, das Alter der Reben, wie tief sie wurzeln, welche Mineralien sie aufnahmen, wie lange der Wein auf der Feinhefe lagerte und vieles mehr spielt eine Rolle. Es kommt auf die Inhaltsstoffe an. Obwohl lange nicht alles erforscht ist, weiß man, dass Fruchtaromen und Sekundärstoffe durch Zucker ganz allmählich karamellisieren und sich dadurch weitere Aromen bilden. So treten bei hochwertigen Weißweinen zu den frischen Fruchtaromen der Jugend, die sich zwar ebenfalls langsam abschwächen, nach und nach weitere Aromen hinzu, Noten von Blütenhonig und gedörrten Früchten, ja selbst etwas von der ursprünglichen Traube, bis eine wunderbare Harmonie entsteht. Die Säure tut ein Übriges, sie baut sich zwar nicht ab, wird aber geschmacklich schöner eingebunden. Ecken und Kanten verschwinden, an ihre Stelle treten Eleganz und Feinheit. Wer einen solchen Wein zu jung trinkt, verpasst etwas. Die Reifung wird durch Sauerstoff begünstigt, der – wenn auch nur in ganz geringen Dosen – durch den Kork eindringt. Daher reifen Weine mit einem viel dichteren Schraubverschluss deutlich langsamer. So spielt selbst die Flaschengröße eine Rolle. Wein in kleinen Flaschen sollte man rascher trinken. Man erkennt die Reifung auch an der Farbe, die sich vom jugendlichen hellen Gelbgrün allmählich in Richtung Goldgelb wandelt.

Doch was sollte man einkaufen und wie lange lagern, und wie? Am besten in einem kühlen, dunklen, nicht zu trockenen Keller ohne Fremdgerüche und nicht zu hohen Temperaturschwankungen – Weine mit Kork selbstverständlich liegend! Hochwertige nicht zu trockene Rieslinge haben durchaus ein Reifungspotenzial von fünf bis sieben Jahren. Da Zucker gebraucht wird, sollte man sehr trockene Gewächse eher trinken. Edelsüße Weißweine, Beeren- und Trockenbeerenauslesen sowie Eisweine, reifen über Jahrzehnte. Natürlich gibt es auch bei hochwertigen Weißweinen einen Kulminationspunkt, wonach Altersnoten nach und nach in den Vordergrund treten. Fachleute bezeichnen solche Weine als „firn“. Um die richtige Zeit zu erwischen, am besten hin und wieder probieren! Ein Buch mit Kellernotizen erweist sich ebenfalls als hilfreich.

Wie steht es nun mit dem Jahrgang 2010? Hier ein Blick nach Baden: Schon im Herbst äußerte Junior Thomas Männle vom Weingut Andreas Männle in Durbach: „Der Jahrgang war deutlich besser, als geredet. Die hohen Niederschläge im August waren gar nicht schlecht. Sie brachten den Trauben eine gute Nährstoffversorgung. Dadurch wurden die Hefen gut ernährt, und die Weine zeigten ein ausgesprochen gutes Gärverhalten.“ Bestes Potenzial für lagerfähige Rieslinge! Sein Durbacher Bienengarten Klingelberger, wie der Riesling dort heißt, trocken (1), hat mit seiner gehaltvollen Eleganz und nachhaltigen Terroirs-Noten voll überzeugt. Dieser Wein dürfte in fünf Jahren noch aufbauen. Kellermeister Andreas Philipp vom Winzerkeller Auggener Schäf: „Der Jahrgang zeigte sich anfangs zwar verhalten, entwickelte sich aber je schöner, je höherwertiger die Weine waren.“ Seine Weißer Burgunder Spätlese trocken haben wir als weichen, mundfüllenden Tropfen mit weiterer Zukunft probiert (2). Einen Teil davon hat Philipp im Barrique ausgebaut und gibt dem Tropfen gerne noch zwei bis drei Jahre Aufwärtsentwicklung. „Ich habe den Jahrgang von Anfang an als recht gut beurteilt. Es ist ein interessanter, fruchtbetonter Weißweinjahrgang mit vergleichsweise hohen Extrakten“, so Kellermeister Martin Bäuerle von den Oberkircher Winzern, was Reifungspotenzial bedeutet. Seinem Weißburgunder „Vinum Nobile“ trocken (3), den wir als cremigen Tropfen mit langem mundfüllenden Nachhall probierten, gibt er noch viel Zukunft. Michael Weber vom Wein- und Sektgut Weber in Ettenheim beurteilt den Jahrgang mit relativ hoher aber sehr angenehmer Säure ohne das Zuviel an Alkohol. Seinem Ettenheimer Kaiserberg Grauer Burgunder „SE“ (4) vermacht er gerne noch fünf Jahre. Wir haben ihn als eleganten Tropfen mit viel Rückgrat und Rasse erlebt. Kellermeister Florian Zeller von der Winzergenossenschaft Wolfenweiler: „Selbst beim Grauburgunder war 2010 die Säure recht hoch. Wir haben sie nicht korrigiert, um keine Frucht zu verlieren, sondern insbesondere bei den höherwertigen auf die Reifung gesetzt, obwohl der Trend am Markt stark zu jungen Weinen geht.“ Sein Grauer Burgunder Wolfenweiler Dürrenberg trocken im Holzfass vergoren und gereift (5), ein weiniger, vielschichtiger Tropfen mit nachklingender Rasse, dem wir noch weiteres Potenzial vermachen, gibt ihm voll recht. Bei der Probe solcher Weine wird also durchaus klar, dass wir viele gute Weißweine zu jung trinken. Aber es kommt auf den Wein an. Zum Reifen braucht es Potenzial. Wer unsicher ist, sollte sich beim Kauf beraten lassen.

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