Bayerns Wirtshaus-Tradition

Wo die Bierkultur daheim ist: Bayerns Wirtshaus-Tradition

Als sich Anfang Oktober der Hochsommer noch einmal nach Bayern verirrte, träumte so mancher Genießer von einer endlosen Biergarten-Saison. Wenige Tage später rieselten die ersten Schneeflocken auf die Biertische. Schluss mit der Gemütlichkeit? Im Gegenteil. Jetzt genießen die Bayern ihre (altbayerische) Halbe oder ihr (fränkisches) Seidla, ihr Weizen, Zoigl oder Kirchweihbier urgemütlich im Wirtshaus.

Das Wirtshaus, Inbegriff bayerischer Gemütlichkeit und Lebensfreude, entstand vor rund 2.000 Jahren als römischer Vorläufer der Autobahnraststätte. Von den Straßenstationen blieb freilich nichts übrig. Erst im Mittelalter entwickelten sich die typisch bayerischen Tafernwirtschaften (vom lateinischen taverna = Hütte). Die Tafernwirte durften, anders als Gasthäuser, meist auch selbst backen, brauen und Schnaps brennen. Während die Bezeichnung in den meisten Regionen in Vergessenheit geriet, pflegen in Bayern noch viele Wirte die Taferntradition.

So manche Kassettendecke, mancher Kachelofen in bayerischen Wirtshäusern wurde schon im 16. oder 17. Jahrhundert gesetzt. In der Gründerzeit, ab dem späten 19. Jahrhundert, blühte die Wirtshauskultur dann vollends auf. Alte Holzdecken und Dielenböden, geschnitzte Vertäfelungen, umlaufende Bänke, originale Wandmalereien, bleiverglaste, farbige Fenster und blank gescheuerte Holztische mit ihren Scharten und Zinken erzählen Geschichten vom Beisammensein und vom behaglichen Genuss.

Karteln, anbandeln, zünftig genießen:

Wirtshauskultur ist immer auch Bierkultur
Heute wie einst wird im Wirtshaus Bier getrunken und herzhaft geschmaust, gekartelt (am Stammtisch), aufg´spielt (von der Musi), anbandelt (beim Tanz) und derbleckt (vom Hochzeitslader). Hier wird geratscht und räsoniert oder, typisch bayerisch, in behaglicher Eintracht und schweigend die Welt betrachtet. Der Wert der Wirtshäuser – nicht nur als kulinarische, sondern auch als soziale und kulturelle Zentren – rückt wieder ins Blickfeld. Regionale Initiativen bemühen sich, die Wirtshauskultur zu bewahren und zu fördern.

Bayerische Wirtshauskultur ist immer auch Bierkultur. Wo eine eigene Bierkarte mit regionalen und saisonalen Spezialitäten gepflegt wird, darf man sich auf besondere Genüsse freuen. Jetzt, im Bierherbst, haben das Märzen und die Festbiere Saison. Das blanke Märzen leuchtet appetitlich bernsteinfarben im Glaskrug. Seine Blume – also der Duft – und der Geschmack sind malzbetont. Es ist süffig und körperreich, mit einem Anklang von Süße und Hopfenbittere. Eng verwandt sind die Kirchweihbiere. In warmen Herbsttönen, von Goldgelb bis Rotbraun, schimmern sie in den Krügen und versöhnen uns mit dem Abschied vom Sommer.

Bayerische Biervielfalt im Wirtshaus erleben
Wer beim Ausflug aufs Land in die Wirtshäuser und Dorfwirtschaften einkehrt, erlebt die bis heute enorm vielfältige bayerische Brauereien-landschaft. Jede Region hat ihre Brauereien. Allein die Bierstadt Bamberg zählt zehn Traditions- und Wirtshaus-Brauereien, die insgesamt 50 unter- und obergärige Bierspezialitäten herstellen. Wer übrigens durch Bayern reisen und jeden Tag im Wirtshaus ein anderes Bier probieren wollte, der wäre elf Jahre lang unterwegs: Die 628 bayerischen Brauereien produzieren eine Vielfalt von mehr als 40 Sorten und ca. 4.000 Marken-Spezialitäten. Da kann man nur noch sagen: genussvolle Reise – und zum Wohlsein!

Lesetipp: 50 sehens- und erlebenswerte bayerische Wirtshäuser stellt das Buch „Genuss mit Geschichte: Einkehr in bayerischen Denkmälern“ vor (Volk Verlag, München 2009, 16,90 Euro), ISBN: 978-3-93-720070-5.

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